Am 25.05. fand in Leipzig eine Veranstaltung des Bürgerkomitees Leipzig in der Gedenkstätte Museum der Runden Ecke statt. Das Thema: “Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit – ein Grundrecht, das für alle gilt?“. Wie auch bei der folgenden Veranstaltung zum Thema Meinungsstreit waren die Rollen klar verteilt. Hier die Guten und da die Bösen. Es diskutierten der Pressesprecher der Polizei Leipzig Andreas Loepki, mit dem Verwaltungsrichter Dr. Jürgen Vormeier, dem ehemaligen SPD MdB Gunter Weißgerber und Irena Rudolph-Kokot vom Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“. Unter dem Hashtag #le2505 lassen sich Eindrücke sammeln. Torsten Kokot war dabei und hat seine Eindrücke niedergeschrieben.
Auf der Suche nach der praktikablen Volksherrschaft, fern von ideologischer Verbrämung und mythischer Entrückung, wird immer wieder die Unterschiedlichkeit der Auffassungen davon erkennbar. Am deutlichsten kann man diese Diskrepanzen wohl erkennen, wenn es gilt die Kräfte gegen jene zu bündeln, welche eben den wahrhaft demokratischen Gesellschaftskonzepten langfristig den Untergang bereiten wollen. Es ist wirklich tragisch, wie Egozentrik und Missgunst den Blick mancher Protagonisten vernebeln und die menschliche Fähigkeit der Scheidung des Unwesentlichen aus sinnvollen Handlungsplänen verhindern. In selbstverliebter Manier um den Fortbestand der eigenen geschichtlichen Bedeutung nebst damit verbundener gesellschaftspolitischer Inhalte besorgt wird die sich daraus ergebende Kritik an allem, was ihren Status relativiert, stets eine destruktive Note haben. In dem Glauben, sie selbst hätten ja schon für alle genug gesellschaftlichen Fortschritt mitgeschaffen und der Status quo sei über allen Zweifel erhaben, leugnen sie die Notwendigkeit einer aktiven
Verteidigung der friedlichen und freiheitgarantierenden Demokratie. Insofern mag es nicht verwundern, wenn angesichts der erschreckenden Passivität vieler Menschen einerseits und der heimlichen Freude einer großen Zahl partiell antidemokratisch Gesinnter Ideologien der Ungleichwertigkeit menschlichen Lebens fröhliche Urständ feiern. Die Wehrhaftigkeit der Demokratie steht und fällt mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement ihrer Befürworter.
Die am 25.05.2017 im ehemaligen Kinosaal der Bezirksverwaltung des MfS in Leipzig abgehaltene Podiumsdiskussion hat einen guten Blick darauf geboten.
Vladimir Balzer von MDR Kultur moderierte die Runde mit Irena Rudolph-Kokot als Vertreterin des Aktionsnetzwerkes „Leipzig nimmt Platz“, Andreas Loepki, Pressesprecher der Polizeidirektion Leipzig, Jürgen Vormeier, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht und Gunter Weißgerber, Mitbegründer der SDP in Leipzig sowie ehemaliges Mitglied des Bundestages.
Wenn sich fünf Menschen mit ihrer auch aus eigener Erfahrung gespeisten Sachkenntnis zum öffentlichen Gedankenaustausch treffen, kann das interessierte Auditorium mit Recht eine plausible Herleitung der verschieden Positionen erwarten. Das dient ja in erster Linie der Darlegung themenbezogener Motivstrukturen der Diskutant*innen. Es ist im Idealfall also erhellend bzw. entlarvend, wenn die jeweilige Meinung im Lichte einer inhärenten Logik Rückschlüsse auf die Prämissen zulässt. Diese Annahmen von der gesellschaftlichen Realität und der persönlichen Bezüge waren von sehr unterschiedlicher Qualität. Da gab es den Fokus auf die aktuelle politische Entwicklung als Versatzstück der Verhaftung in zeitgeschichtlichen Zusammenhängen, was den Kern der Kontroverse ausmachte. Ein Richter ergänzte die Darstellung der Sachlage durch eine theoretische Rahmenbeschreibung der Rechtslage vornehmlich aus dem Blickwinkel des Bundesverfassungsgerichtes. Ein Vertreter der Exekutive, der persönlich in die zu beurteilenden Geschehnisse der vergangenen Jahre involviert war, bemühte sich um eine sachdienliche Darlegung aus polizeilicher Sicht.
Da wurde nun Irena Rudolph-Kokot gebeten den Reigen dieser Eigendarstellungen des persönlichen Wertekanons zu eröffnen. Von einer Rechtfertigung kann man in diesem Zusammenhang nicht ernsthaft sprechen, da sie sich expressis verbis am geltenden Recht ausrichtete und für sich und ihre Mitstreiter*innen kein exklusives formulierte. Sie ordnete das Wirken des Bündnisses LnP dezidiert ein, benannte vor einem Richter und einem Polizisten was nachweislich legal und was legitim ist, zeigte die Grenzbereiche auf und mahnte die Akzeptanz derselben durch Duldung entsprechender Handlungskonsequenzen an.
Hinsichtlich der in jeder Diskussion nötigen Begriffsklärung hat sie damit einen elementaren Beitrag geleistet. Diese Korrektur tendenziöser Wertungen, welche sich schon in der Ankündigung des Disputes fanden, sollte später noch drastischer werden.
Getarnt als Podiumsdiskussion sollte ein zivilgesellschaftliches Bündnis, welches nachweislich im streitbaren Dienste der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung steht, vor einem Tribunal der selbsternannten Gralshüter der Friedlichen Revolution von 1989/90 sich selbst als latent undemokratisch erweisen.
So zumindest ließ die schriftliche Einladung das Ziel durchschimmern und der Argumentationsstil des ehemaligen MdB und SDP-Mitbegründers Gunter Weißgerber offenbarte dieses Ansinnen schließlich in der Veranstaltung selbst. Er verstieg sich in seiner Bewertung der Sitzblockade – auch der Form mit autochthonem Demonstrationscharakter – zu einer prinzipiellen Herabwürdigung des zivilen Ungehorsams als legitimer Grenzverletzung bei der Durchsetzung erstrebenswerter Ziele. Er duldete keine vergleichende Analyse mit den Formen, welche den Untergang der DDR einläuteten. Diese seien wegen ihrer Zielrichtung eine Diktatur zu bekämpfen und zu beenden als herausragend zu betrachten. Mit dieser Glorifizierung, wobei dem Mut und der Beharrlichkeit der damaligen Akteure in ihrer konstruktiven Systemkritik Respekt zu zollen ist, insbesondere der eigenen Rolle im damaligen Geschehen trägt er zur Mythenbildung bei und ebnet mit der Selbstenthebung aus einer umfassenden geschichtswissenschaftlichen Beurteilung der Klitterung eben dieser Geschichte den Weg.
Abgesehen von der Einordnung in die jüngste Geschichte, welche wegen der vielfältigen emotionalen Bezüge auch derer, die sich der wissenschaftlichen Analyse verschrieben haben, ohnehin schwierig ist, sollen ja tagespolitische und zukunftweisende Lehren in solchen Foren formuliert werden. In der Darstellung der Kritiker der öffentlichen Proteste gegen Legida und Konsorten wird vorgeblich eine versuchte Beschneidung verfassungsmäßiger Rechte auch verfassungsabholder Akteure in den Mittelpunkt gerückt. Die spontane Blockade eines gesetzlich garantierten Demonstrationsmarsches forciere gemäß der Einlassung des Herrn
Weißgerber die breite Solidarisierung mit den Demokratiefeinden ob des vermeintlich schändlichen Umgangs mit ihnen. Den „Millionen von inhaltlich gefestigten DDR-Kritikern“ im öffentlichen Raum von 1989, er nannte tatsächlich diese Zahl und leitete vielleicht aus dem Wahlergebnis vom 18. März 1990 die enthusiastische Teilnahme an den Protesten im Jahr zuvor ab, billigt er in der Rückschau mehr kognitive Fähigkeiten zu als dem Wahlvolk von heute. Denen traut er lediglich affektgeleitetes Handeln zu, wenn er ihre Entscheidungen von solchen Äußerlichkeiten definiert sieht. Die Wirklichkeit ist vermutlich in keinem dieser beiden Pole einer Gesellschaftsbeschreibung zu finden. Und in Ermangelung detaillierter Fakten
entstandene Pauschalurteile werden der Heterogenität der Wählerschaft kaum gerecht.
So gesehen ist die orakelnde Abqualifizierung der Protestformen von LnP als Stabilisierungsmaßnahme für nationalistisches und rassistisches Gedankengut recht beschämend für Politiker mit vorgeblich progressivem Gestaltungswillen.
Neben der Ablehnung der Proteste, welche man noch als Passivität abtun könnte, gab es aber im Verlauf der über zwei Jahre dauernden Auseinandersetzungen immer wieder mündliche und schriftliche Angriffe auf die Aktivisten der sehr breit aufgestellten Front gegen Legida.
Nicht einmal vor Genossen aus der eigenen Partei machten Gunter Weißgerber und seine Unterstützer mit ihrer destruktiven Kritik halt. Das Signal dieser Haltung ist beängstigend. Vermittelt es doch die Hinnahme des Menschenverachtens und die Ablehnung der Bekämpfung desselben als falsch.
Der Effekt des von Gunter Weißgerber in seiner Einlassung angemahnten Duldens ist ein verheerender. Er lässt die antidemokratischen Inhalte als unwidersprochen im öffentlichen Raum stehen und damit den fatalen Schluss einer stillschweigenden Befürwortung durch die Bevölkerungsmehrheit zu. Außenstehenden wird, wie den Worten eines Veranstaltungsgastes aus Köln zu entnehmen war, genau dieser Eindruck vermittelt. Die neutralitätsbetonte Zurückhaltung der Medien im Verbund mit den zögerlichen Positionierungen vieler Politiker*innen lässt die menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Inhalte als salonfähig erscheinen. Denjenigen, welchen es bis dahin an eigenem Mut zur offenen Darstellung ihrer ewig gestrigen Weltsicht und ihres geburtsständischen Elitedenkens mangelte, wird doch durch die Deklaration dieser Äußerungen als grundsätzlich rechtmäßig und demokratiekonform der Weg bereitet.
Mag die äußere Form unserem Demokratieverständnis auch entsprechen, so zielen die Inhalte dieser selbsternannten Vaterlandsverteidiger langfristig auf eine Abschaffung dieser Grundordnung ab. Die FDGO ist eben doch kein Perpetuum mobile, das einmal angestoßen keiner weiteren Impulse bedarf um seinen Zustand zu wahren.
In der Zuspitzung auf den Aspekt der Legalität bestimmter Ausdrucksformen von politischen Meinungen, insbesondere durch das recht bruchstückhafte Referat des Richters, geriet das Wesentliche der Arbeit von LnP zunehmend an den Rand der Debatte. Das Auditorium mahnte zurecht eine Rückbesinnung auf die Inhalte an und ordnete die detailverliebte rechtliche Bewertung als nachrangig ein. Dass die bewusste Aufnahme des zivilen Ungehorsams in das politische Repertoire nicht auf eine Veränderung der verfassungsgemäßen Gestaltung abzielte, hob der Einwand sehr deutlich heraus. Mitnichten arbeiteten die Aktivisten des Bündnisses an einer pauschalen Verbotspraxis für Demonstrationen der Demokratiefeinde.
Sie pochten lediglich auf ihr Recht, wirkungsvoll widersprechen zu können. Demonstrationen sind per se nicht die Foren für einen kreativen Gedankenaustausch. Sie leben von der Zuspitzung und werden von der Massenmobilisierung für ein Thema und der dazugehörigen Meinungsübereinstimmung getragen.
Im Vorfeld und im Nachbereiten liegen die Möglichkeiten für inhaltliche Gestaltung, während einer Demo geht es nur um die Verkündung. Und diese ist mitunter konfrontativ, wenn nicht gar antagonistisch. Hier greifen dann die jeweiligen, nach geltendem Recht zu bewertenden Stilmittel. Der gute Zweck heiligt längst nicht alle Mittel, aber die Darstellungen von Frau Rudolph-Kokot und die Kommentare von Herrn Loepki bestätigten letztlich das Vorgehen von LnP als inhaltlich richtig und unterstrichen damit dessen Notwendigkeit. Beide wagten auf Anregung des Moderators auch einen zuversichtlichen Ausblick für die künftigen Demohighlights. Dabei wurde die Begriffsklärung fortgesetzt. Die wahren Gegendemonstranten sind die Gegner der von uns bevorzugten Verfasstheit der Gesellschaft, welche nun wahrlich nicht perfekt ist, aber immerhin den Anspruch aller auf ein würdevolles Dasein postuliert. Frau Rudolph-Kokot drehte die subtil disqualifizierenden Rollenzuschreibungen des Ankündigungsflyers um und ihr wurde nicht widersprochen.
Als Fazit kann man durchaus festhalten, dass die Demokratie irgendwie funktioniert und aktive Bürger*innen dafür immer braucht – weit über das Praktizieren des Wahlrechts hinaus.
Democracy is no spectators sport!