Aus Recht und Gesetz: Nach langer Zeit – ein Landfriedensbruch

Es ist der 12.12.2015. Am Ende des Tages wird ein Sachschaden knapp in Millionenhöhe stehen. Mehrere rechtsextreme Gruppen hatten einen Marsch aus der Leipziger Südvorstadt Richtung Connewitz angemeldet. Es geht Ihnen nicht um die Meinungsfreiheit, es geht um Provokation und Dominanz.

2015 ist die Zahl an rechtsextremen asylfeindlichen Demonstrationen in Sachsen explodiert. Am Ende des Jahres werden es mehr als 700 sein. Allein im November mehr als 150. Rassistische Taten findet jeden Tag statt, angestachelt durch PEGIDA und andere Gruppen – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise.

Vor diesem Hintergrund findet die Demonstration in Leipzig statt. Am Ende treffen sich rund 150 Nazis, die durch ein großes Polizeiaufgebot wenige hundert Meter laufen dürfen. Mehr als 4000 Menschen beteiligen sich am Gegenprotest.

Und während immer wieder Menschen versuchen auf die Strecke zu kommen und diese zu blockieren, gerät bereits am frühen Nachmittag die Situation am Südplatz außer Kontrolle. Die Polizeikräfte werden von mehr als hundert Personen beworfen und weichen zurück. Scheiben gehen zu Bruch.

Am Ende eines denkwürdigen Tages, wird die Polizei mehr als 70 abgelaufene Tränengaskartuschen verschossen haben, mussten die 4 eingesetzten Wasserwerfer zwischendurch mit Wasser neu bedankt werden, da sie leer waren, brannten an mehr als einem halben dutzend Stellen auf verschiedenen Straßen Barrikaden. Es gibt dutzende Verletzte.

Da war viel Wut und Hilflosigkeit. Das Geschehen ist bis heute nicht restlos aufgeklärt und abgeschlossen.
Eine friedliche Kundgebung von Leipzig nimmt Platz etwa wird am Nachmittag, obwohl es von dort keine Störungen gibt mit Tränengas beschossen.

Am Abend des Tages, liegen über dem Viertel Nebelschwaden aus Rauch und Tränengas. An verschiedenen Stellen ist das Pflaster aufgerissen und Steine liegen auf dem Boden, der Straßenbahnverkehr bis in die Nacht hinein ausgesetzt. Wie konnte es geschehen?

2 Jahre später wird Anklage erhoben gegen meinen Mandanten, Polizeibeamte haben ihn festgenommen. Er soll einen Stein geworfen haben.

Die Anklage wird 2020 zugelassen und jetzt findet die Verhandlung statt.

Obwohl es reichlich Videos zur Situation gibt, fehlen diese in der Akte. Erst auf meinen Antrag hin, werden die polizeilichen Videos zur Akte gezogen und zeigen ein etwas anderes Bild, als das was sich aus den Aussagen der Zeugen ergibt, die in sich widersprüchlich sind – aus meiner Sicht.

Die Zeugen sind alles Polizeibeamte, die keine konkrete Erinnerung mehr an den Tag haben und sich nur auf ihre Sachverhaltsberichte stützen können. Weitere Angaben kann keiner machen. Auf den Videos hört man, dass sie selber nicht genau wissen, wer von den Festgenommenen etwas getan hat oder nicht.

Keine Kritik an den Beamten, den man kaum vorwerfen kann, dass sie sich nach mehr als 5 Jahren nicht mehr genau an eine Demo erinnern können, auf die noch Hunderte weitere folgten.

Es ist oft genug so, dass sich die unmittelbare Wahrnehmung in einer Situation mit anderen Eindrücken vermischt. Bruchstücke werden ergänzt. Ich glaube das die Beamten Menschen gesehen haben die Steine werfen. Es war nicht zu übersehen. Ich bezweifle, dass die Beamten meine Mandanten gesehen haben können.

Aber wie soll nach mehr als 5 Jahren Gerechtigkeit entstehen weil für alle Beteiligten das Geschehen in kaum fassbarer Ferne liegt. Wie will man Aussagen aufklären, weil Fragen nicht beantwortet werden können.

Am Ende hat in einem Parallelverfahren ein anderer Angeklagter meinen Mandanten belastet. Warum bleibt offen. Die Widersprüche, die fehlenden Videos, die lange Verfahrenszeit und warum alles so eskalieren konnte, werden nicht aufgeklärt werden können. Die lange Verfahrenszeit findet aber Berücksichtigung.

Gerecht ist das alles nicht und alle wissen das in diesem Moment. Der Staat straft nicht um die Täter zu bessern sondern um sich selber zu bessern. Es ist eine Mahnung.

Mehr als 5 Jahre nach der Tat, gibt es keine Gerechtigkeit mehr, kaum Aufarbeitung und alle wissen es – es bleibt ein Versagen und eine schlecht verheilte Wunde in der Geschichte der Stadt.

Die Macht der Bilder und die Lügen.

Es ist wieder Berlin. Es ist wieder eine Demo. Es sind wieder verstörende Bilder.

Gestern wurde die Novellierung des Infektionsschutzgesetz verabschiedet. Festgelegt werden bundeseinheitliche Regelungen ausgehend von einem bestimmten Inzidenzwert und wie damit umzugehen ist.

Auf der einen Seite ist es richtig, dass der Gesetzgeber handelt und eben nicht alles über Verordnungen geregelt wird. Der Parlamentsvorbehalt ist Teil des Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes und damit eines der Grundprinzipien der Demokratie. Auf der anderen Seite weisen die Novellierungen in Einzelfällen mehrere juristische Schwachpunkte auf. Die Regelung etwa zu Ausgangsbeschränkungen und damit ein Eingriff in Art 2 Grundgesetz, stößt zu Recht auf umfassende verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Auseinandersetzung über das Gesetz ist daher geboten und notwendig. Allein darum geht es nicht.

Gestern demonstrierten einmal mehr in Berlin sog. Querdenker gegen das Gesetz. Nach Polizeiangaben bis zu 8000. Einmal mehr wurde deutlich, dass die Bereitschaft zur Konfrontation deutlich zugenommen hat und inzwischen nicht einmal mehr der Versuch unternommen wird, sich in irgendeiner Art und Weise gegen Rechtsextreme und Reichsbürger abzugrenzen.

An mehreren Stellen wird die Polizei, die diesmal deutlich konsequenter agiert als im November, attackiert und anwesende Hooligans und Neonazis, die gezielt angreifen, werden aus der Menge dazu ermuntert. Auch der virulente Antisemitismus, in der Gleichsetzung zwischen Infektionsschutzgesetz und Ermächtigungsgesetz, bis hin zu Judensternen mit der Aufschrift „ungeimpft“ wurden mehr als deutlich.

Mehrere Tendenzen zeigen sich: die Radikalisierung der sog. Querdenkerbewegung schreitet weiter voran, die Einflüsse von Rechtsextremen nehmen weiter zu. Auch das sind keine neuen Befunde. Auch der Eindruck in weiten Teilen der Bewegung, dass man sich in einer Diktatur befinde, gegen die man sich wehren müsse, hat sich verstetigt mit der Folge, dass die Ablehnung der Demokratie, die man als Diktatur empfindet, voranschreitet. Diese Stimmung wird gezielt geschürt von Rechten, wie sie auch gestern wieder vor Ort waren.

Diese Radikalisierung wird auch durch die Macht der Bilder vorangetrieben. Es ist durchaus möglich, dass Demonstranten gestern in Berlin waren und weder die Auseinandersetzungen im Tiergarten, noch die Anwesenheit von erkennbar Rechtsextremen bewusst wahrgenommen haben.

In Bezug auf die Presseartikel, die auch diese Szenen im Blick haben, ist die Bereitschaft dieser Bilder nicht anzuerkennen damit groß.

Dies insbesondere auch weil die eigene Wahrnehmung, in der Zeit der sozialen Medien, der „Egomaschinen“, die Analyse ersetzt. Es geht vielen nicht mehr um eine Gesamtbetrachtung der Situation, um die Reflektion und Einordnung sondern um die Wiedergabe eigener Eindrücke, die als objektive Wahrheit angesehen werden und über die sozialen Medien vielfach Verbreitung finden.

„Weil ich etwas nicht gesehen habe, kann es nicht passiert sein.“

Auch diesen Befund trifft nicht nur auf Querdenker zu sondern auf weite Teile der Gesellschaft. Das „Ich“ ist wichtiger als das Geschehen.

Deutlich wird dies an einer bestimmten Szene. In den Kanälen der Querdenker wird sehr stark ein Video geteilt, dass zeigt, wie eine, offenbar ältere Frau, von mehreren Polizisten robust überwältigt und zu Boden gebracht wird.

Diese Bilder, die nur einen Ausschnitt aus einer Gesamtsituation zeigen, sind geeignet Stimmung zu erzeugen. Dabei hängt die Bewertung der Bilder maßgeblich auch von der eigenen Grundannahme und Einstellung ab.

Für viele sog. Querdenker ist dieses Video ein Beleg, dass der als Diktatur verfemte Staat auch zu diktatorischen Mitteln greift und vermeintlich alte Leute „brutal zusammenschlagen“ lässt. In der logischen Folge nimmt die eigene Konfliktbereitschaft zu. „Man muss sich wehren.“

Überraschend viele auch links gelesene Personen und Accounts feiern in den sozialen Medien, dass die Polizei vereinzelt rigoros gegen Querdenker vorgegangen ist. Das ist gefährlich und greift zu kurz.

Man darf annehmen, dass die selbe Situation unter der Maßgabe, dass es sich um eine andere Demo handeln würde, für anderen Gesprächsstoff gesorgt hätte. Und einige Accounts, die das Handeln der Polizei feiern, im nächsten Moment, dass gleiche Handeln kritisieren würden.

Die Bilder, die bei den Querdenker kursieren zeigen nur einen Aussschnitt einer komplexeren Situation. Sie dienen gezielt der Manipulation. Auch das ist inzwischen gang und gebe.

Nur darf man von mündigen Personen erwarten, dass sie sich nach der ersten Welle der Erregung, um eine Reflektion bemühen um die Situation einzuordnen und nicht der eigenen emotionalen Erregung folgen.

Betrachtet man die vollständige Szene sieht man, dass die Frau, vorher zum Schlag gegen einen Beamten ausholt, dieser den Schlag abblockt und daraufhin die Frau zu Boden bringt.

Warum die Frau offenbar schlagen wollte, was davor geschehen ist, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, was dem einzelnen Beamten durch den Kopf gegangen ist.

Aber diese Bilder drehen die Situation und führen zu einer anderen Bewertung. Das Handeln der Polizeibeamten wird damit erklärbar.

Man muss diese Situation aus ihrem politischen Kontext lösen um zum Grundproblem zu kommen.

Wir sehen Ausschnitte eines Geschehens. Die Bewertung des Geschehens hängt maßgeblich von den eigenen Vorannahmen und Einstellungen ab. Um so emotionaler wir mit einer Sache verbunden sind umso stärker ist die Verzerrung.

Sich dies immer wieder klar zu machen, nach der ersten Erregung, zu versuchen eine Einordnung vorzunehmen, um eben nicht auf Falschmeldungen und selektive Wahrnehmungen hereinzufallen ist die Grundaufgabe – immer.

Es kann daher nie richtig sein, Gewalt von wem auch immer zu feiern. Bilder zeigen immer nur Ausschnitte, aus einem im Regelfall komplexeren Gesamtgeschehen.

Die eigene Wahrnehmung ist keine objektive Wahrheit und nicht geeignet eine Analyse zu ersetzen.

Kritisch bleiben- jederzeit.

Eine kurze Geschichte der Parkplatznot in Anger- Crottendorf und anderswo.

Statt Anger-Crottendorf lässt sich ein beliebiger anderer Stadtteil einer wachsenden Stadt einsetzen. Anger- Crottendorf für die nicht Leipziger ist ein Stadtteil im Osten der Stadt, der in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist. Aktuell gibt es Streit. Viel Streit.

Die Situation der Stellplätze in Anger- Crottendorf erhitzt die Gemüter. Eine Petition macht die Runde, Anschuldigen werden erhoben, die Emotionen kochen hoch.

Vielleicht einige Anmerkungen wie es dazu kommen konnte:

Weiterlesen „Eine kurze Geschichte der Parkplatznot in Anger- Crottendorf und anderswo.“

Gegenüberstellen

Es wird wieder über nächtliche Ausgangssperren diskutiert, obwohl deren Wirkung vergleichsweise marginal ausfallen dürfte. Es wird über weitere Einschränkungen des Privatlebens diskutiert, im Angesicht erneut deutlich steigender Zahlen und der Auslastung von Krankenhausbetten und der Belastung des Pflegepersonals.

Weiterlesen „Gegenüberstellen“

Privilegien für Geimpfte?

Immer wieder flammt die Diskussion auf, ob es nicht für Geimpfte „Privilegien“ geben sollte. Dahinter verbirgt sich der Wunsch zeitnah in eine Normalität zurückzufinden. Allein diese Debatte ist, so nachvollziehbar sie erscheinen mag, falsch aufgezogen. Es geht nicht um Privilegien. Daher ein paar Anmerkungen.

Weiterlesen „Privilegien für Geimpfte?“

Stuttgart und dann?

Nachdem am Wochenende abermals sog. Querdenker, unter Verstoß gegen die verhängten Auflagen demonstrierten, folgt die unvermeidliche Woge der Aufregung.

Es heißt die Polizei hätte anders agieren müssen. Personelle Konsequenzen werden voreilig gefordert. Getreu dem Motto das ja irgendjemand Schuld sein muss.

Und während von einer konsequenten Ahndung von Verstößen der Maskenverweigerer nicht die Rede sein kann, wird wie gehabt der Gegenprotest geräumt inklusiver der Begleiterscheinungen, die nie fehlen: Angriffe auf Pressevertreter und Handshake von Polizeibeamten mit Querdenkern.

Eine sattsam bekannte Mischung, die sich abermals zeigt und die Erregungskurven ansteigen lässt.

Die Polizei ging im Vorfeld nur von 2500 sog Querdenkern aus. Entsprechend war der Kraefteansatz nicht ansatzweise ausreichend um bei einer vielfachen Anzahl effektiv Auflagen durchzusetzen. In der Folge konzentrierte sich die Polizei auf eine Raumsicherung und auf die Abdraengung des Gegenprotestes um Auseinandersetzungen zu verhindern.
Aus polizeitaktischer Sicht ist es deutlich einfacher eine kleinere Gruppe auch unter dem Einsatz von einfacher körperlicher Gewalt abzudraengen, auch wenn dies im Einzelfall rechtswidrig ist, als die deutlich größere Gruppe zu kontrollieren.

Im Einzelfall orientiert sich polizeiliches Handeln im Einsatz anhand von Zweckmäßigkeit und Effizienz und dann erst nach dem rechtlich Gebotenen. Es gilt die Macht des Faktischen.

Es zeigt sich auch ein systemisches Problem. Wie bei einem Großteil der vorangegangener Demonstrationen ist auch hier die Gefahrenprognose zu hinterfragen und höchst kritikwürdig. Es zeigt sich auch, dass nach wie vor der Bewegung der Querdenker massiv unterschätzt wird, hinsichtlich Mobilisierungsfähigkeit und Aggressionspotential.

Die Diskussion, die sich jetzt in Teilen entspannt, insbesondere zur Verantwortung der Versammlungsbehörde (die Stadt Stuttgart selber) geht in die Irre.

Es ist eine Armutserklärung wenn der zuständige Ordnungsbürgermeister erklärt, dass das Land die Stadt zu einem Verbot hätte anweisen können. Zuständig für Auflagen oder ein Verbot, dass immer die ultima ratio ist, ist die Stadt.

Auf der anderen Seite bringt auch der Austausch einer Person relativ wenig und die immer wieder gestellten Forderungen nach einem Verbot halte ich für gefährlich.

Die Versammlungsfreiheit und damit das Recht der öffentlichen Meinungskundgabe ist konstitutiv für eine Demokratie. Verbote sind immer nur das letzte Mittel und zwar unabhängig der Fragestellung wer mit welchem Anliegen demonstriert. Punkt!

Auch in der aktuellen Situation muss es daher möglich sein, sein Anliegen in kommunikativer Weise nach außen zu tragen.
Dazu sind Versammlungen im Zweifelsfall von Auflagen abhängig zu machen. Für die Umsetzung der Auflagen ist zunächst die Versammlungsleitung zuständig, wozu sie eigene Ordner hat.

Erst dann greift die Polizei ein. Das Versammlungsrecht ist Polizeifest. Bedeutet, dass das Versammlungsrecht lex secialis ist und nicht ohne weiteres Normen der Polizeigesetze der Länder zur Anwendung kommen.

Es wundert auch nicht, dass hinsichtlich der wiederholten Übergriffe auf Pressevertreter die Innenminister schweigen. Der in zwischen übliche Zustand, dass es am Rande solcher Demonstrationen zu Angriffen auf Pressevertreter kommt ist besorgniserregend weil es ein Angriff auf die Pressefreiheit an sich.

Zusammengefasst lässt sich festhalten:

Eine ungenügende Abstimmung zwischen Stadt und Land, eine fehlerhafte Einsatzplanung der Polizei, eine Gefahrenprognose die keine ist, führen im Ergebnis zu einer unsteuerbaren Situation und es wiederholt sich genau das, was sich seit Monaten bundesweit wiederholt.

Genau darin besteht aber die Gefahr. Ein Staat der Regelungen und Konsequenzen ankündigt, dann aber genau das Gegenteil geschehen lässt, wird unglaubwürdig. Die sog Querlenker dürften dies nicht nur als Erfolg sondern auch als Bestätigung sehen.

Und diese Ermunterung darf und muss uns Sorgen bereiten. Die Grundlage der Demokratie ist, dass es ein Versprechen von Sicherheit gibt, dass jeder Mensch frei ist seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, im Rahmen der Gesetze, ohne dafür Konsequenzen fürchten zu müssen. Dazu gehört im Einzelfall auch, dass wir uns vereinbart haben uns als Gesellschaft im wesentlichen an die Regelungen zu halten.

Der permanente, meist folgenlose Gesetzesbruch sog Querlenker, verlässt diesen Rahmen. Das wiederholte Nichthandeln von staatlicher Seite wird damit selber zur Gefahr für die Demokratie.

Und das ist nach Leipzig, Dresden, Kassel und Stuttgart der Befund der uns wirklich Sorgen machen sollte.