Warum sich Menschen für den zivilen Ungehorsam entscheiden

Seit Ende 2014 finden in Sachsen wöchentlich fremdenfeindliche bis offen neonazistische Demonstrationen statt. Losgetreten von PEGIDA bis zu AfD und Co, waren die Demonstrationen nicht selten der Auftakt für Gewalt. Übergriffe gegen Geflüchtete und Andersdenkende haben deutlich zugenommen, ebenso wie Angriffe gegen Unterkünfte.

Allein 2015 fanden fast 800 dieser rechten bis rechten bis offen neonazistischen Demonstrationen statt. Anders als in Dresden ist es in Leipzig gelungen, dass menschenfeindliche LEGIDA Bündnis zur Aufgabe zu zwingen. In Leipzig fanden 2017 nur noch 3 rechte Demonstrationen (AfD und vermeintliche Bürgerinitiativen nicht mitgezählt)  statt. Am 09.01. die letzte LEGIDA Demonstration mit 300 Menschen, die am 21.09. kurz vor der Bundestagswahl einen neuerlichen Aufguss fand und aufgrund zahlreicher Blockaden eine andere Strecke laufen und im Ergebnis in der Straßenbahn endete und am 18.03. eine Demonstration von der Partei „Die Rechte“ mit nicht 200 Teilnehmer*innen, die ebenfalls mehrfach gestört wurde. Die Gründe für das aus sind vielfältig, hängen aber auch und insbesondere mit dem Gegenprotest zusammen.

Dazu gehört in Leipzig auch die Bereitschaft im Rahmen des Gegenprotestes die Straße offensiv für sich zu reklamieren und auch im Rahmen von zivilen Ungehorsam die Straße den Rechten zu nehmen oder wie das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ schreibt diese menschenfeindlichen Aufmärsche zu „verhindern„.

Am 02.05.2016 setzten sich im Rahmen einer Demonstration spontan mehr als 300 Menschen auf den Ring in Leipzig und zwangen so das Legida Bündnis zu einer Umleitung. Trotz Anmeldung einer Eilversammlung wurden im Nachgang 167 Personen, davon ca 144 wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt. Die Verfahren wegen einer Straftat nach § 22 sächsVersG (grobe Störung einer Versammlung) wurden bei den meisten wegen geringer Schuld eingestellt, vgl. § 153 StGB. Es folgten die Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten wegen Verstoß gegen eine Auflage und nicht entfernen nach Auschluss aus der Versammlung, vgl. § 30 I Nr. 4 u. Nr. 6 sächsVersG. Die meisten Betroffenen sollten Bußgelder in Höhe von 3-400 € zahlen.

Das neue Bündnis „dazusetzen“ hat die Verfahren begleitet, Öffentlichkeit hergestellt und Druck entwickelt an dessen Ende bei vielen Verfahren, dass ursprüngliche Bußgeld von 300 € auf 150 € reduziert wurde.

Über die juristische Bewertung kann man streiten. Sicher haben auch nicht alle damit gerechnet, dass sie ein Bußgeld oder sogar Strafgeld zahlen müssen. Dennoch waren viele dabei, die es in Angesicht dessen bewußt getan haben. Die sich bewusst für eine mögliche Regelverletzung entschieden haben. Dazu gehören Schüler*innen, Student*innen, Erwerbssuchende, Angestellte und Selbstständige – ein Querschnitt der Gesellschaft.

Die Motivation von 2 meiner Mandantinen und damit auch die Begründung warum es richtig war, lest ihr hier:

Sue, Selbstbständige Unternehmerin, Inhaberin eines Hostels:

Ich glaube, wir haben alle, die wir in diesem Land leben, eine grundsätzliche Verpflichtung, alles uns mögliche zu tun um niemals wieder zuzulassen, daß sich der Nationalsozialismus, auch nur im Ansatz wiederholt.

Leider passiert etwas anderes, jeden Tag und in der Vergangenheit. Offensichtlich wie in Rostock oder Heidenau, die täglichen Angriffe auf Asylbewerberheime, der alltägliche Rassismus, die Hetze im Netz. All das macht mich wütend und traurig und ich bin fassunglos, daß es immer noch so viele dumme Menschen gibt, die willig Rechtspopulisten hinterher laufen, Afd wählen, Hassparolen verbreiten und Gewalt säen.

Pegida, Legida haben dazu beigetragen und wenn ich in einer offenen und friedlichen Gesellschaft leben will, muß ich diesem Gedankengut widersprechen. Jeden Montag gegen Legida und in dem, was ich sonst noch so mache.

Früher am Theater und jetzt mit meinem Hostel, als Herberge für Menschen aus der ganzen Welt, Versammlungsort für alle. Es ist so wichtig die andere, freundliche, anständige Seite dieses Landes aufrechtzuerhalten und der Angst entgegenzuwirken.

2015 bekam ich besorgte Mails aus Indien und Israel, ob es hier in Leipzig sicher sei.

Die Johanniter, die damals in der Turnhalle an der Jahnallee gearbeitet haben wurden auf dem Heimweg zum Hostel angegriffen.

Gäste, die montags am Hbf ankamen, waren erstmal schockiert aufgrund der Parolen und des Polizeiaufgebotes. Wie kann man da auf dem Sofa sitzen und Legida laufen lassen? Ich würde mich immer wieder hinsetzen, denn niemand kann die jetzige Entwicklung ignorieren, die Afd sitzt im Bundestag, auch Dank Pegida und Co.

Und ja, mir graut vor der sächsischen Landtagswahl. Was dann?

 

Rosa, Erzieherin:

Ich bin eine alleinerziehende Mama von zwei tollen Kindern. Diese Kinder wachsen im Luxus auf. Sie haben ein Dach über dem Kopf, sie gehen jeden Abend mit dem Wissen ins Bett, morgens wieder aufwachen zu dürfen, sie haben witterungsgerechte Kleidung und tägliche (warme) Mahlzeiten, sie können draußen im Freien ohne Angst spielen, mit ihren Freunden und sie können jeden Tag ihre Mama und ihren Papa in die Arme schließen und ihre Wärme spüren. Diesen Luxus, diese Privilegien, haben so viele andere Menschen nicht.

Bei meiner Arbeit als Erzieherin in einem Schulhort habe ich geflüchtete Kinder kennengelernt, sie kommen unter anderem aus Pakistan, Afghanistan und Syrien. Sie haben ihre schrecklichen Erlebnisse geschildert, ein elfjähriger Junge hat mir seine Narbe am Bauch gezeigt, sie stammt von einer Schussverletzung. Ein zwölfjähriges Mädchen hat von ihrer Flucht aus Damaskus berichtet: „Ich habe gesehen wie dem Freund von meinem Papa in den Kopf geschossen wurde (sie zeigte mit dem Finger zwischen ihre Augen), danach sind wir gerannt, alles war kaputt von den Bomben und da lag ein Baby auf dem Boden, das hat noch geschrien und dann haben wir es mitgenommen…und hier in Deutschland ist alles so schön und bunt..“ Warum können wir von diesem Luxus nichts abgeben?

Fast jede*r von uns darf ihn genießen, teilen sollte doch da nicht schwer sein. Warum sind so Viele so neidisch, wovor haben sie Angst? Diese Menschen flüchten aus Angst um ihr Leben und sie kommen zu uns mit der Bitte um Schutz! Ich kann es mit meinem Gewissen als Mama nicht vereinbaren wenn da Rassisten, Faschisten, Pegidas und Co durch unsere Straßen ziehen und ihren Hass verbreiten. Deswegen habe ich mich dazugesetzt und ich würde es jederzeit wieder tun

 

Es sind solche Menschen, die helfen etwas zu bewegen. Menschen, die nicht schweigen können und wollen wenn Hass laut wird und Ungerechtigkeit vertreten wird, wenn auf der Straße gegen andere Menschen gehetzt wird. An Ihnen sollten wir uns ein Beispiel nehmen.

PS: am 01.12. findet in der Distillery eine Soli Party statt: https://www.facebook.com/events/1911652318860083/

Autor: juergenkasek

Lebe lieber ungewöhnlich. Rechtsanwalt, Politiker, Aktivist, Umweltschützer, Blogger, Sportler

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