Nach der Demonstration am 14.01.2023 in Lützerath ist die Diskussion auch über die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes voll entbrannt. Dazu einige Einschätzungen.
Zunächst einmal wird immer mit Betriebsgelände argumentiert und Hausrecht. Bedeutet, dass die Polizei hätte vorgehen dürfen, da sich ein Teil der Versammlungsteilnehmer auf Betriebsgelände befand.
Das stimmt nur bedingt. Dann müsste das sog. Betriebsgelände auch ausdrücklich so gekennzeichnet und gg Betretung geschützt sein. Das war nicht der Fall. Es gab keinen Zaun und keine klare Grenze. Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB liegt bei nicht bewohnten Besitztum regelmäßig nur dann vor, wenn das Besitztum ausdrücklich nach außen hin abgegrenzt ist. Da reicht auch ein Schild nicht. Hausfriedensbruch ist zudem ein absolutes Antragsdelikt und RWE hat erklärt, keine Anzeige (!) stellen zu wollen.
Für die Sicherung von Betriebsgelände ist zudem nicht die Polizei, weil ja privater Grund und Boden, sondern der Werkschutz zuständig. Erst wenn Versammlungsteilnehmer Betriebsgelände betreten und sich nach Aufforderung nicht entfernen, liegt der Anfangsverdacht einer Straftat vor, so dass die Polizei agieren kann.
Nach der Aussage einer Vielzahl von Versammlungsteilnehmern war aber gar nicht erkennbar, wo genau die Grenzen sind. Eine wahrnehmbare Grenze und Aufforderung sich zurückzuziehen hätte es erst direkt am Zaun von Lützerath gegeben.
Zum Versammlungsrecht. Nur weil eine Versammlung oder einzelne Versammlungsteilnehmer, die angemeldete Strecke verlassen wird die Versammlung deswegen nicht zwingend illegal. Zu prüfen ist dann ob eine Spontanversammlung vorliegt. Die grundrechtliche Versammlungsfreiheit geht vor und auch Spontanversammlungen sind von Art.8 GG geschützt.
Daran ändert auch die Situation nichts, dass es sich möglicherweise um Betriebsgelände gehandelt haben könnte. Da das Betriebsgelände nicht gegen Zutritt gesichert ist und es um offene Felder geht, kann auch bei quasi öffentlichen Orten die Versammlungsfreiheit greifen, vgl. auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema, etwa im Fraport Urteil.
Eine Prüfung der Spontandemonstration, sowie eine Auflösung der Versammlung hat es offenbar nicht gegeben. Die Versammlungsteilnehmer auf dem Feld hätten zunächst aus der einen Versammlung ausgeschlossen werden müssen und dann hätte mit Polizeirecht gearbeitet werden können.
Nennt sich Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts. Auch das hat es nicht gegeben.
Der Einsatz von unmittelbaren Zwang ist vorher im Regelfall anzukündigen und zwar mehrfach. Das darf nur wegfallen, wenn es die Umstände aufgrund einer Gefahr dies nicht zulassen. Die zahlenmäßige Unterlegenheit der Polizei gehört nicht dazu.
Diese Ankündigungen hat es in breiten Teilen nicht gegeben. Statt die Polizeikräfte an neuralgischen Punkten weit zurückzuziehen und nur Lützerath und die Tagebaukante zu sichern, hat man sich in diesem Sinne auf eine Konfrontation auf offenen Feld eingelassen. Dazu passt auch, dass mehrfach die Polizeikräfte umgruppiert wurden und man sich immer weiter zurückgezogen hat.
Diese markanten strategischen Fehler versuchte man mit Härte zu kompensieren und sich dabei darauf verlassend, dass es ähnlich wie nachG20 in Hamburg sowieso keine Folgen haben wird.
Es war zudem abzusehen, dass aufgrund des Wetters und des bereits vorher durchnässten Bodens, der durch die vielen Menschen weiter in Matsch verwandelt wurde, die mit Rüstungen ausgerüsteten Polizeikräfte, irgendwann in Schwierigkeiten kommen würden. Das kann man wissen und absehen.
Ein Großteil der Verletzten bei der Polizei ist offenbar genau darauf zurückzuführen. Die Polizei spricht selber von 70 verletzten Beamten und räumt ein, dass viele offenbar durch Verletzungen aufgrund des Untergrunds zu stande kamen, sowie der Einsatz von Pfefferspray, der aufgrund von Windböen auch eigene Kräfte traf. Markant ist an dieser Stelle, dass der zuständige Innenminister selber von mehr als 100 verletzten Beamten sprach, vgl. Sendung Anne Will 15.01.2023 und damit von den Zahlen der eigenen Polizei abweicht.
Der Einsatz von Pfefferspray, das aufgrund von Windböen, ähnlich wie der Wasserwerfereinsatz die eigenen Kräfte abbekommen, Bänderverletzungen durch das feststecken im Schlamm sind offenbar die Hauptgründe für Verletzungen der eingesetzten Beamten, die am Abend durch weitere Kräfte ua. dem USK aus Bayern unterstützt wurden.
Die Behauptung, dass es Bewurf durch Steine und Molotowcocktails gegeben habe kann zudem in das Reich der Legenden zurückgewiesen werden. Es gab Tage vorher, bei der Räumung des Ortes, offenbar einen Gegenstand, der aussieht, als ob es ein Molotowcocktail gewesen sein könnte. Bei der Demonstration gab es das nicht. Und auch der Bewurf mit Steinen wirft Fragen auf. Wo sollen dort Steine herkommen? Es handelt sich um flaches Land und Felder. Dort können auch Steine seien aber jedenfalls keine Pflastersteine oder ähnliches. Was man auf den Videos sieht ist Matsch mit dem Beamte bewurfen wurden. Das ist nicht nett und kann auch eine Straftat sein allerdings keine Köprverletzung.
Die ganze Situation wurde gelegentlich mit Herr der Ringe verglichen. Wenn man jedoch Analogien bemühen will landet man eher bei der Varusschlacht. Dort gerieten die schwer ausgerüsteten Römer ebenfalls aufgrund des unwegsamen Geländes und des aufgeweichten Bodens ins Hintertreffen.
Dies sieht man sehr schön an der sog. Mönchssituation, die zum viralen Hit in den sozialen Netzwerken geworden ist. Während die Beamten in der Rüstung erhebliche Standschwierigkeiten auf dem Matsch haben, scheint dies dem Mönch nichts auszumachen.
Im Ergebnis spricht einiges dafür, dass der Polizeieinsatz völlig anders abgelaufen ist als geplant war, auch wenn Polizei und Politik etwas anderes glauben machen wollen. Aber Fehlerkultur war da schon immer ein Fremdwort.
Das was jetzt läuft ist das Ringen um die Deutungshoheit. Fehlerkultur und kritische Aufarbeitung wird es bei diesem Innenminister, der schon die rechtswidrige Räumung im Hambacher Wald zu verantworten hat, nicht geben.