Vermummte Staatsanwälte beim Leipziger Kessel

Warum es problematisch ist, wenn Staatsanwälte sich im Einsatz vermummen und vorher Absprachen mit der Polizei treffen. Ein notwendige Intervention zu #le0306.

Edgar Lopez ist ein freier Journalist, der unter anderem für Die Zeit und den Spiegel schreibt.


Die Staatsanwaltschaft ist die Anklagebehörde und sie ist dem Justizministerium unterstellt. Sie soll belastende und entlastende Beweise zusammentragen.

Wenn die Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld offenbar strafprozessuale Maßnahmen abspricht, geht sie von einer Strafe aus und zwar zu einem Zeitpunkt, wo noch nichts begangen wurde. Damit hebt sie die Unschuldsvermutung aus. Die Vermutung ist, es wird Straftaten geben. Wenn gleichzeitig noch vermummte Beamte der Polizei an der Versammlung teilnehmen, und der Innenminister die Zusammenarbeit der Behörden im Vorfeld lobt dann ist das ein Problem.

Dann wirkt es so, dass sich der Staat die Eingriffsgrundlage vorher selber schafft und an einem Szenario arbeitet, dass man vorher abgesprochen hat. Wenn die Staatsanwaltschaft daran mitwirkt, dann positioniert sie sich.


Wenn ein Großteil der Maßnahmen dann noch rechtswidrig ist, muss man die Arbeit der Staatsanwaltschaft sehr kritisch hinterfragen. Eine StA die einseitig belastende Beweise sichtet, verrät den Rechtsstaat und damit sind wir beim aktuellen Fall.

Staatsanwälte, die sich verkleiden… Wir erinnern daran, kein U-Haft Antrag der StA Leipzig hat vor Gericht gehalten. Keiner.
Einseitiges Handeln? Mit Sicherheit.

Versammlungsfreiheit und kein Ende.



Gestern kam der Innenausschuss des sächsischen Landtages zusammen um erneut über das erste Juniwochenende in Leipzig zu beraten, wo es im Anschluss an eine Demonstration zu Auseinandersetzungen kam. 1040 Menschen bis zu 11 Stunden lang im Freien festgehalten wurden, darunter mehr als 40 Jugendliche.



Inzwischen ist klar, so schreibt es auch die Zeit, dass unter den vermummten Versammlungsteilnehmern, wegen derer die Versammlung nicht laufen durfte, auch Zivilpolizisten waren.

„Wenn die Polizei einen Demonstrationszug mit der Begründung verbietet, dass Teilnehmer vermummt sind, und gleichzeitig steht die Polizei selbst vermummt unter den Teilnehmern, dann ist das für mich ein Zirkelschluss“

Weiterhin musste die Polizei einräumen, dass eine Differenzierung bei der Umschließung des Leipziger Kessels nicht möglich war und daher auch völlig Unbeteiligte stundenlang festgehalten wurden.

Der sächsische Innenminister meint, dass Unbeteiligte hätten gehen können. Dies wird durch vielfache Augenzeugenberichte und Journalisten widerlegt, die im Gegensatz zum Innenminister vor Ort waren.

Auch führt der sächsische Innenminister aus, dass es bislang keine Anzeigen gegen die Polizeibeamten gebe. Auch das ist falsch. Die Eltern des Jugendlichen, der bewusstlos geschlagen wurde und der 2 Tage im Krankenhaus lag, haben bereits letzte Woche Anzeige eingereicht.

All das kann man noch subsumieren unter das Ringen um die Deutungshoheit. Eine Fehlerkultur gibt es nicht. Und der Innenminister will nicht aufklären sondern verteidigt einen Polizeieinsatz, der in vielen Punkten rechtswidrig war.

Das fatalste überhaupt ist aber die Lesart in breiten Teilen der Gesellschaft. Sehr viele meinen, dass diejenigen die im Kessel waren oder die Jugendlichen die Gewalt erlebt haben selber Schuld sein.

Die Argumentation lautet sinngemäß, dass man das doch hätte wissen können und vulgo dort auch nicht hätte hingehen müssen.

Polizeigewalt und ein Versagen des Rechtsstaates wird gerechtfertigt weil es vorher zu Gewalt gekommen ist. Eine Gewalt, die auch, siehe oben, mit durch die Polizei ausgelöst wurde.

Welch eine bedenkliche Entwicklung. Es scheint die Meinung vieler zu sein, dass das Versammlungsgrundrecht im Einzelfall bis zum Verbot eingeschränkt werden muss und Rechtsverstöße durch den Staat gedeckt sind, wenn es vorher Gewalt gegeben hat.

Mit einem rechtsstaatlichen Vorgehen hat das alles nichts zu tun aber offenbart einmal mehr wie stark autoritäre Einstellungen in der Gesellschaft verbreitet sind.

Die Logik ist einfach: Eine Unschuldsvermutung gibt es für weite Teile der Gesellschaft nicht. Wenn eine linke Demo eskaliert, dann müssen sich gefälligst diejenigen erklären, die daran teilgenommen haben und nachweisen, dass sie unschuldig sind.

Das die Mehrheit am 03.06.2023 völlig friedlich war interessiert einfach nicht.

Multiple Krisen in einer komplexer wertenden Welt und zunehmende Zukunftsangst befeuern Nationalismus und Autoritarismus. Auch das zeigt die Diskussion einmal mehr.

Und wenige sind angesichts der Zumutungen von Bildern von Steinewerfern, die es gab, bereit den Rechtsstaat und die Demokratie auch angesichts dieser Bilder zu verteidigen.