Versammlungsfreiheit und kein Ende.



Gestern kam der Innenausschuss des sächsischen Landtages zusammen um erneut über das erste Juniwochenende in Leipzig zu beraten, wo es im Anschluss an eine Demonstration zu Auseinandersetzungen kam. 1040 Menschen bis zu 11 Stunden lang im Freien festgehalten wurden, darunter mehr als 40 Jugendliche.



Inzwischen ist klar, so schreibt es auch die Zeit, dass unter den vermummten Versammlungsteilnehmern, wegen derer die Versammlung nicht laufen durfte, auch Zivilpolizisten waren.

„Wenn die Polizei einen Demonstrationszug mit der Begründung verbietet, dass Teilnehmer vermummt sind, und gleichzeitig steht die Polizei selbst vermummt unter den Teilnehmern, dann ist das für mich ein Zirkelschluss“

Weiterhin musste die Polizei einräumen, dass eine Differenzierung bei der Umschließung des Leipziger Kessels nicht möglich war und daher auch völlig Unbeteiligte stundenlang festgehalten wurden.

Der sächsische Innenminister meint, dass Unbeteiligte hätten gehen können. Dies wird durch vielfache Augenzeugenberichte und Journalisten widerlegt, die im Gegensatz zum Innenminister vor Ort waren.

Auch führt der sächsische Innenminister aus, dass es bislang keine Anzeigen gegen die Polizeibeamten gebe. Auch das ist falsch. Die Eltern des Jugendlichen, der bewusstlos geschlagen wurde und der 2 Tage im Krankenhaus lag, haben bereits letzte Woche Anzeige eingereicht.

All das kann man noch subsumieren unter das Ringen um die Deutungshoheit. Eine Fehlerkultur gibt es nicht. Und der Innenminister will nicht aufklären sondern verteidigt einen Polizeieinsatz, der in vielen Punkten rechtswidrig war.

Das fatalste überhaupt ist aber die Lesart in breiten Teilen der Gesellschaft. Sehr viele meinen, dass diejenigen die im Kessel waren oder die Jugendlichen die Gewalt erlebt haben selber Schuld sein.

Die Argumentation lautet sinngemäß, dass man das doch hätte wissen können und vulgo dort auch nicht hätte hingehen müssen.

Polizeigewalt und ein Versagen des Rechtsstaates wird gerechtfertigt weil es vorher zu Gewalt gekommen ist. Eine Gewalt, die auch, siehe oben, mit durch die Polizei ausgelöst wurde.

Welch eine bedenkliche Entwicklung. Es scheint die Meinung vieler zu sein, dass das Versammlungsgrundrecht im Einzelfall bis zum Verbot eingeschränkt werden muss und Rechtsverstöße durch den Staat gedeckt sind, wenn es vorher Gewalt gegeben hat.

Mit einem rechtsstaatlichen Vorgehen hat das alles nichts zu tun aber offenbart einmal mehr wie stark autoritäre Einstellungen in der Gesellschaft verbreitet sind.

Die Logik ist einfach: Eine Unschuldsvermutung gibt es für weite Teile der Gesellschaft nicht. Wenn eine linke Demo eskaliert, dann müssen sich gefälligst diejenigen erklären, die daran teilgenommen haben und nachweisen, dass sie unschuldig sind.

Das die Mehrheit am 03.06.2023 völlig friedlich war interessiert einfach nicht.

Multiple Krisen in einer komplexer wertenden Welt und zunehmende Zukunftsangst befeuern Nationalismus und Autoritarismus. Auch das zeigt die Diskussion einmal mehr.

Und wenige sind angesichts der Zumutungen von Bildern von Steinewerfern, die es gab, bereit den Rechtsstaat und die Demokratie auch angesichts dieser Bilder zu verteidigen.

Autor: juergenkasek

Lebe lieber ungewöhnlich. Rechtsanwalt, Politiker, Aktivist, Umweltschützer, Blogger, Sportler

Ein Gedanke zu „Versammlungsfreiheit und kein Ende.“

  1. ZITAT J. K.: „Dass die Mehrheit am 03.06.2023 völlig friedlich war interessiert einfach nicht…“

    Bei den ach so Friedlichen gab es vornweg ein Banner mit der Parole „Exekutive zerschlagen!“. Wenn das kein Aufruf zur Gewalt war, dann sollten die selbst ernannten „Verteidiger der Demokratie“ jetzt in den Keller gehen und dort weiter heulen. Das Banner war natürlich eine unfriedliche Provokation, eine Kampfansage an den Staat. Die Exekutive ist eine tragende Säule der Demokratie. Wer sie zerschlagen will, der will die FDGO beseitigen. Wer durch Gewaltdrohung Wind seht, wird Sturm ernten. Und wer hinter solch einer Parole läuft. Ist alles andere als unschuldig. Ich rede da auch von Missbrauch Minderjähriger zu Durchsetzung staatsgefährdender Absichten.

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