Niemand muss Täter sein? – der Fall Lindemann (Rammstein)

Gestern fand in Leipzig das Auftaktkonzert der Till Lindemann Solotour statt. Mehr als 600 Menschen (nach Polizeiangaben) demonstrierten dagegen.

In der Debatte geht es ein wenig durcheinander. Einige meinen, dass der Protest schlicht unangemessen ist, weil Lindemann doch freigesprochen wurde, andere verteidigen die Kritik umso deutlicher.

Am Rande des Protests kommt es zu erhitzten Wortgefechten und mindestens eine Person deutet auch einen Hitlergruß in Richtung der Demonstrierenden an.

Ein paar Worte dazu.

Recht und Unrecht.
Richtig ist, dass Lindemann nicht verurteilt wurde. Die Staatsanwaltschaft von Berlin hat ermittelt und die Ermittlungen mangels Beweisen eingestellt, auch weil keine der direkt Betroffenen Anzeigen gestellt hat.

Im strafrechtlichen Sinne ist er damit nicht freigesprochen, das würde ein Urteil voraussetzen, sondern gilt als unschuldig.
Das ist eine strafrechtliche Bewertung und keine ethisch- moralische. Die Debatte endet damit aber nicht auch weil selbst gerichtliche Entscheidungen richtig und falsch sein können und ebenfalls Teil eines demokratischen Diskurses sind.

Die Auseinandersetzung damit ist eine gesellschaftliche und Urteile schaffen Rechtsfrieden aber befrieden keine Debatte.

Sexualstraftaten?

Sexualstraftaten sind juristisch oft besonders schwierig zu beurteilen, weil es in vielen Fällen oft auf eine Situation Aussage gegen Aussage hinausläuft. Was ist Konsens und wo endet dieser? Es gibt inzwischen eine Reihe von Fällen, wo dies auch öffentlich diskutiert wurde.
Gerade allerdings weil solche Vorwürfe sehr schwer wiegen, sollte damit sehr vorsichtig umgegangen werden und ja auch die Frage der Eigenverantwortung darf man stellen. Allerdings nicht in dem Sinne, wie das einige Anhänger von Rammstein und Lindemann tun, die meinen, dass wer in der ersten Reihe steht oder zum Backstage eingeladen wird, doch weiß worauf man sich einlässt.

Diese Argumentation läuft im Ergebnis darauf hinaus zu sagen: wer besonders leicht bekleidet irgendwo rumläuft ist doch auch selber schuld.

Hier werden klassisch patriarchale Denkmuster reproduziert. Und das ist übrigens auch das was man Lindemann und Rammstein und vielen anderen vorwerfen kann, jenseits von der Frage nach strafbaren Handlungen: das ausnutzen von patriarchalen Machstrukturen.

Cancel Culture?

Auch das Wort der sogenannten Cancel Culture wird bemüht. Eingeführt als Begriff des Kulturkampfes wird übersehen, dass Konzerte und damit auch Kultur seit jeher Gegenstand des öffentlichen Interesses und Streits ist. Seien es Proteste von Tierschützern gegen die Installationen eines Hermann Nietzsche (orgiastisches Theater), seien es Proteste gegen Metalkonzerte wegen vorgeblich satanistischer Inhalte und Co.

Nein, Streit ist nicht Cancel Culture. Streit ist elementarer Bestandteil einer Demokratie und es fragt sich warum so viele das nicht aushalten können und sich gleich gegängelt fühlen.

Im vorliegenden Fall steht die Frage von sexueller Übergriffigkeit im Raum und die Frage wo Kunstfigur Lindemann (der zu einem Song auch ein pornografisches Video gedreht hat) und Realität ineinander übergehen. Dazu kommen die Texte, die natürlich auf Skandal ausgerichtet sind.

All das kann man hinterfragen und kritisieren und muss die Auseinandersetzung damit aushalten können.

Ich halte es für zwingend notwendig auch das System von patriarchalen Machtstrukturen und das ausnutzen von Macht offen zu diskutieren und in Frage zu stellen. Das ist auch notwendig.

Würde es diese Debatten nicht geben, wäre vielleicht auch die Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar (erst seit 1997 strafbar).

All das sollte man sehen und sich damit auseinandersetzen.