Vor einem Jahr schlossen die Clubs.

Langsam wurden die Nachrichten bedrohlicher, drängender. Etwas war geschehen. Das Virus war zu uns gekommen. Vor einem Jahr gab es noch keine Diskussion über den R- Wert, Impfungen oder Inzidenzzahlen.
Aber es gab die ersten Nachrichten, eine dunkle Vorahnung, dass etwas geschehen würde.

Das LiveKommbinat Leipzig e.V. traf sich in einer Eilsitzung, es war Freitag, es war in der Tille, wir saßen zusammen, tranken etwas und berieten.

Allein dieses: „Wir saßen zusammen“, klingt inzwischen seltsam, fremd. Wie aus einer anderen Zeit. Ganz nah waren wir beieinander, noch nicht durch den Stream segreggiert, gefangen im Mikrokosmos der Bites und Bytes.

Wir dachten nach, überlegten und die Leipziger Clubs beschlossen, noch bevor es amtlich wurde und sie schließen mussten, die Türen zu schließen, nichts zu riskieren. Eigenverantwortung zu(m) leben.

Wir, wie die meisten anderen, ahnten nicht wie lange es sein würde. Wir dachten Wochen, vielleicht ein paar Monate. Jetzt ist es ein Jahr, ein Ende ist nicht in Sicht.

Der unfehlbare Mensch war fehlbar geworden. Das was immer schon war, drängte zurück ins Bewusstsein.

Im Frühjahr trösteten wir uns mit Streams. Fanden uns vor den Computern zusammen, alleine mit Abstand und waren doch über den Stream ein wenig verbunden.

Im Sommer folgten ein paar Partys – -mit Abstand. Ein bisschen Erinnerung, ein bisschen Gefühl.

Und als es Herbst wurde, folgte die zweite Welle und jetzt vielleicht die dritte Welle. Noch stehen wir am Anfang. Vielleicht. Wer weiß das schon.

Die Vorstellung an einen Club ist so unsagbar fremd geworden, eine ferne Erinnerung. Die Hoffnung auf eine baldige Änderung -begraben.

Im Februar in den Pittlerwerken, letztes Jahr, die letzte Nacht. Menschen und Musik und das Gefühl der Nacht – das sirren und der unendliche Möglichkeitsraum zwischen Beats und Bar, Licht und Dunkelheit, zwischen neuer Liebe und Trauerarbeit.

Eine Erinnerung, so fern, wie aus einer anderen Zeit.

In einer Zeit, in der Menschen sterben, anderer ihre Lebensgrundlage verlieren, scheint es seltsam zu sein, daran zu erinnern. Fast vermessen und irgendwie unanständig, dieses „weißt du noch“.

Aber Kultur und Nacht – ein Echoraum, der eigenen Gefühle und Erlebnisse, die Möglichkeit eine Sprache zu finden, fehlt.

Die Nacht war der kontrollierte Ausbruch aus einer Realität, die aufgrund ihres effizienbasierten Drucks, den Raum zum atmen mitunter nimmt. Ständige Erreichbarkeit, Flexibilität, die restlose Verwertung des eigenen Humankapitals schafft keinen Sinn, nur Rendite. Menschen sind leer.

Die Kultur hat uns die Sprache gegeben und uns zu Menschen gemacht. Beim betrachten von Bildern, den Austausch über Texte, entstand Raum zur Verarbeitung. Und in der Nacht konnten wir uns lösen, lauschen und eins werden mit der Musik, mit den Wellen der Bässe und Beats, die den Körper erschüttern und uns Teil werden liessen.

Ein Jahr danach. Ein Jahr, wie eine Katastrophe. Eine Erinnerung an die unendliche Fehlbarkeit des Menschen und wie bedeutend jeder einzelne Tag, jede Stunde, bis zur Sekunde ist.

Ich erinnere mich daran was war und aus der Erinnerung wächst das Samenkorn der Hoffnung, das ich im Herzen trage.

Lang lebe die Nacht. Lang lebe die Kultur.

ClubsareCulture

Autor: juergenkasek

Lebe lieber ungewöhnlich. Rechtsanwalt, Politiker, Aktivist, Umweltschützer, Blogger, Sportler

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