Zwischen Silvester und Indymedia, Anmerkungen

Demonstrationsrecht und Freiheit. Silvester und Indymedia und überhaupt.

In der trügerischen Hoffnung, nichts mehr dazu schreiben zu müssen, ein weiteres Mal den Versuch unternehmend Eulen nach Athen oder woandershin zu tragen, und Klarheit zu schaffen.

Die Silvesternacht in Leipzig und auch die Vorgänge rund um die Indymedia Demo erreichten gestern auch den Stadtrat. Sachlich, nüchtern anhand von Zahlen reflektierte der Ordnungsbürgermeister das Geschehen.

Unverständlich schien einigen Stadträt*innen, das man eine Demonstration zulässt, nachdem vorher aus einer Demonstration heraus Straftaten begangen wurden.

Viele äußern sich dazu und vermischen Sachverhalte. Meinungen bilden sich aufgrund von Annahmen, Eindrücken, Befindlichkeiten und Gewissheiten und werden fortan postulliert und gegen bessere Argumente verteidigt.

Immer wieder wird gesagt, die Stadt sei für die Zunahme des „Linksextremismus“ verantwortlich und habe Sachen schleifen lassen.

Begegnen wir dem ganzen mit sachlich nüchternen Fakten, unaufgeregt, nicht politisch wertend:

Silvester:

1) Einsatzschwerpunkt von Feuerwehr und Krankenwagen war nicht das Connewitzer Kreuz. Es gab weit mehr Rettungseinsätze in der Innenstadt und im Leipziger Westen als in Connewitz.

2) Die Pressearbeit der Polizei war nicht korrekt. Das hat inzwischen auch der Innenminister, nach knapp 30 Tagen, eingeräumt.

3) Menschen wurden verletzt. Jeder verletzte Mensch ist einer zuviel, egal ob er eine Uniform hat oder nicht. In offiziellen Statements erfolgt nur der Ausspruch der Anteilnahme gegenüber der Polizei. Nehmt zur Kenntnis, dass völlig unbeteiligte Dritte Opfer von Gewalt auch durch den Staat geworden sind.

4) Wenn von 1000 Menschen, 20 randalieren, werden aus den 1000 Menschen keine 1000 Randalierer. Wenn sich von 300 eingesetzten Polizeibeamten, 10 falsch verhalten, können die anderen trotzdem korrekt gehandelt haben.

5) Im sächsischen Landtag, in der Debatte, haben sich Menchen geäußert, die offenbar weder Leipzig, noch Connewitz kennen und auch sonst keine Faktenkenntnis aufweisen. Es ist armselig.

Indymedia:

1) Die Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ist unabdingbar in einer freiheitlichen Demokratie und steht auch denen zu, die diesen Staat ablehnen. Der Rechtsstaat gewährt auch seinen Gegnern die gleichen Rechte.

2) Wenn aus einer Demonstration von 1600 Menschen, 100 Personen unfriedlich agieren, wird nicht die Demonstration an sich unfriedlich.

3) Wenn danach eine neue Demonstration angemeldet wird, ist erneut die Versammlungsfreiheit einschlägig und in derem Lichte sind Auflagen und auch das Verbot einer Demonstration zu prüfen und das nur dann wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt.

4) Nicht die Demonstration ist eskaliert sondern Teilnehmer der Demonstration haben eskaliert und Schuld daran hat nicht die Polizei, die sich, soweit ich das beurteilen kann, bis zum äußersten zurückgehalten hat und damit dazu beigetragen hat, dass sich die Situation nach einem kurzen Ausbruch der Gewalt wieder beruhigte.

Allgemein:

1) Die Verfolgung von Straftaten ist nicht Sache der Stadt und nicht der Polizei sondern der Staatsanwaltschaft. Die Polizei arbeitet dann als Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft. Die Polizei untersteht dem Innenministerium, die Staatsanwaltschaft dem Justizministerium, die Richterschaft ist frei.

2) Sache der Stadt bzw. der Landkreise ist die Beauflagung und ggf. das Verbot von Demonstrationen sofern eine konkrete Gefahr vorliegt. Das Verbot von Demonstrationen kommt nur als absolute Ausnahme in Betracht, da es sich um ein Grundrecht handelt.

3) Nein, Links- und Rechtsextremismus sind nicht gleich. Wer das behauptet, reproduziert die Extremismustheorie, die davon ausgeht, dass es eine Mitte und Ränder gebe, die jeweils gleich gefährlich sein.
Während sich Rechtsextremismus gegen Gruppen von Menschen richtet, stellen Linke auf die Gleichheit von Menschen und die Überwindung von herrschaftlicher Gewalt ab. Auch das letztere kann für das gegenwärtige Gesellschaftssystem problematisch sein.
Es ist daher kein Zufall, dass wir, je nach Zählung, deutlich mehr als 150 Tote aufgrund rechter Gewalt zu beklagen haben, während sich „linke Gewalt“ in Regelmäßigkeit gegen Sache richtet und wir keine Todesopfer zu konstatieren haben.

Der Vergleich führt ins Nirgendwo, schafft aber einen Deutungsrahmen, der dazu führt, dass unliebsame Meinungen ausgegrenzt werden können. Allein schon der Vergleich einer, wie auch immer gearteten herrschaftsfreien Gesellschaft, mit dem Faschismus ist auf allen in Betracht kommenden Ebenen Unsinn.

Und nein Kapitalismus ist unser Wirtschaftssystem aber nicht grundgesetzlich festgehalten und daher wäre auch die Überwindung des Kapitalismus eine demokratisch gut vertretbare Zielsetzung.

Was also hätte die Stadt machen sollen?

Lasst uns über Gesellschaft streiten, lasst uns Utopien erdenken und lassen wir nicht zu, dass wir am Ende in einem autoritären Staat aufwachen, der aus Angst erschaffen wurde.

Autor: juergenkasek

Lebe lieber ungewöhnlich. Rechtsanwalt, Politiker, Aktivist, Umweltschützer, Blogger, Sportler

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