Mythos Connewitz.

Abermals wird der Mythos Connewitz bedient. Der „Drachenhort der Antifa“, „unsichere Gegend in der alles beschmiert sei“ und sich Rechte Nachts nur in Gruppen zu Hunderten hintrauen, muss mal wieder als Synonym herhalten wenn es um „Linksextremismus“ geht.

Man kann die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik und des Sozialatlas der Stadt Leipzig überprüfen und kann feststellen, dass Connewitz kein (!) Kriminalitätsschwerpunkt ist. Weder im Bereich Sachbeschädigung, noch Gewalt. Und auch die stete Behauptung, dass Connewitz ganz schlimm sei, führt nicht dazu, dass es stimmt.

Das sind die Fakten. Es gibt Kriminalität. Ja, so wie in allen anderen Stadtteilen auch. Mit den Ursachen kann man sich auseinandersetzen. Mit der sozialen Spaltung muss man sich sogar auseinandersetzen um zu verhindern, dass gesellschaftliche Gruppen abgehängt werden, was das entstehen von Kriminalität begünstigt.

Oder man kann populistisch fragen: „Wie die Gewalt nach Connewitz kam“. Und damit einen Stadtteil pathologisieren.

Wir reden nicht über die Ursachen von Kriminalität und Gewalt Wir reden über Symptome und Projektionsflächen. Das ist einfacher und ich kann das Schema von gut/böse deutlich leichter bedienen.

Das ändert nichts, verschärft aber die Gräben in der Gesellschaft.

Geschichtliche Zusammenhänge werden ausgeklammert oder frei interpretiert.

Connewitz Anfang der 90er Jahre war ein Stadtviertel, in dem die besetzten Häuser, gegen massive Angriffe von Neonazis verteidigt werden konnten. Oft genug wurde die Stöckartstr. angegriffen, ohne dass sich der Staat blicken liess.
Es mag sein, dass daher das Vertrauen in die Institutionen des Staates eher gering ausgeprägt ist.

Und es wird nicht besser, wenn der Stadtteil und dessen Bewohner auch weiterhin pathologisiert wird, wenn die Strafverfolgungsbehörden nach zwielichtigen Hinweisen von V-Männern groß angelegte Ermittlungsverfahren starten, an deren Ende nichts steht. Oder in der Jagd auf eine sogenannte „Sportgruppe“ (Menschen, die sich verabredet haben sollen; gezielt Rechte anzugreifen), die Daten von Journalisten, Anwälten und hunderten Unbeteiligten abgehört und aufgenommen werden, ohne dass dieser Skandal irgendwelche Folgen nach sich zieht.

Das Vertrauen kann nicht stärker werden, wenn kontinuierlich der Eindruck bestätigt wird, dass in Sachsen mit „Feuer und Flamme“ gegen alles was „links“ ist ermittelt wird, während rechter Terrorismus relativiert und ignoriert wird. Es gibt nichts aufzurechnen.

Was Connewitz wirklich ist: ein Leipziger Stadtteil, mit einer bunten Mischung aus Bewohner*innen, vielen kulturellen Hotspots, Umweltvereinen und einen überdurchschnittlich hohen zivilgesellschaftlichen Engagement.

Anhand der Demonstration am vergangenen Sonnabend hätte man das überprüfen können. Mehr als 800 Menschen, die gegen 9 (!) Rechte demonstrierten. Die Demo war bunt, viele Familien waren dabei, Junge und Alte – es war der Kiez der dort demonstrierte. Nichts brannte, kein Stein wurde geworfen. Ein ganz normaler Tag im Herbst.

Es mag sein, dass unter den älteren Teilnehmer*innen auch solche waren, die einst vor Jahren auch ihr Viertel mit Gewalt gegen rechte Angriffe verteidigten.

Und zur Wahrheit gehört dazu: dass ohne Connewitz und die hartnäckige Widerständigkeit der Bewohner Leipzig heute vielleicht auch eine eher rechte Stadt wäre, so wie viele andere auch. Und wenn ich „rechts“ sage, dann meine ich nicht konservativ, sondern dezidiert menschenfeindlich.

Reden wir über Gewalt, reden wir über Gefahren für die Demokratie, reden wir über Straftaten. Analytisch, differenziert und bei den Ursachen beginnend. Dann wäre allen geholfen.

Nachtrag in eigener Sache: Es ist richtig, dass ich „linke Demonstranten“ in Versammlungsrecht schule, berate und auch vertrete. Ich tue das als Anwalt weil ich überzeugt bin, dass die Kenntnis seiner Rechte, insbesondere der Grundrechte in einem Rechtsstaat eigentlich die Grundlage sein sollte.

Wenn es ausreicht, dass die Aufklärung über Grundrechte bereits zu einem kritischen Blick des Verfassungsschutzes führt, dann gute Nacht. Aber das hier ist Sachsen, tröste ich mich, da ist die Aufklärung noch nicht so weit.

Autor: juergenkasek

Lebe lieber ungewöhnlich. Rechtsanwalt, Politiker, Aktivist, Umweltschützer, Blogger, Sportler

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: