Prozessbericht – 12.03.19 – Angriff auf Connewitz

Ein weiterer Prozessbericht zur juristischen Aufarbeitung des Überfalls auf Connewitz.

 

Der Prozess gegen Paul H. und Maximilian K. findet vor dem Jugendgericht statt. Denn die Täter hatten zum Tatzeitpunkt das einundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet. Anwesend ist deswegen auch eine Jugendgerichtshelferin. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses ist die Verhandlung aber trotzdem öffentlich.

Nachdem die Hauptverhandlung von der vorsitzenden Richterin eröffnet worden ist, verliest der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Anklageschrift, die im Wesentlichen denjenigen aus den vergangenen Verfahren gleicht. Vorgeworfen wird den Angeklagten in diesem Prozess jedoch einfacher Landfriedensbruch. Die Richterin erläutert nach Verlesung der Anklageschrift, dass zu einem vorausgegangenen Erörterungstermin eine Verfahrensabsprache mit den Angeklagten stattgefunden habe. Nach dieser Absprache soll ein Strafrahmen von zehn bis zwölf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung zur Anwendung kommen, wenn sich die Angeklagten auf ein glaubhaftes Geständnis einlassen. Alle Prozessbeteiligten stimmen der Absprache zu.

Dann wird dem Angeklagten K. das Wort erteilt. Er sei damals viel in der Fußballszene unterwegs gewesen und in die Kreise von „Lok Leipzig“ hereingerutscht. Erst nach der Tat, sei ihm das gesamte Ausmaß bewusst geworden. Er sei erschüttert gewesen. Mittlerweile sei er mit seiner Freundin zusammengezogen und habe den Beruf gewechselt. Auf Nachfrage der Richterin holt K. weiter aus. Die Fußballkreise in denen er sich bewegt habe, bestanden vor allem aus Fußballfans in seinem Alter, die seines Wissens nicht gewalttätig gewesen seien. Der gesamte Freundeskreis sei aber rechtsgerichtet gewesen und so sei es gekommen, das er „mal mitgelaufen“ sei.

Am 11.01.2016 habe er eine Rundnachricht auf Whatsapp erhalten, in der zu einer Demonstration aufgerufen worden sein soll. Den Absender habe er nicht gekannt. Daraufhin sei er nach Connewitz gefahren, habe sich dann im Verlauf der Eskalation abgeduckt und „nicht mehr gedacht“.

Auf erneute Nachfrage der Richterin führt K. auch zu dem Treffen vor der Tat aus. Er sei gemeinsam mit dem Mitangeklagten und zwei anderen Personen zu einem Parkplatz an einem See an der A 14 gefahren. Dort sei eine große Menge an Menschen versammelt gewesen, er habe unter Adrenalin gestanden. Wie viele Menschen es waren könne er aber nicht mehr einschätzen. In der vorher erhaltenen Whatsapp Nachricht sei der Parkplatz an der A 14 als Treffpunkt genannt worden. K. habe sich dort ein wenig mit Anwesenden unterhalten. Er habe keinen Alkohol getrunken und sich anschließend wieder in das Auto gesetzt und sei mit den anderen nach Connewitz gefahren. Er sei dann in seinem jugendlichen Leichtsinn mitgelaufen. Nie zuvor sei er auf einer Demo gewesen. Das vorherige Treffen am Parkplatz habe ihn aber an die Szenerie vor einem Fußballspiel erinnert. In Connewitz habe sich die Gruppe wieder getroffen, man sei ungefähr ein bis zwei Minuten gelaufen, dann sei geschrien worden. „Los jetzt“ und „Hooligan Hooligan“ habe der Angeklagte vernommen. Es seien zwei oder drei Personen gewesen, die herumgeschrien hätten. Dann seien Autos und Scheiben kaputt gegangen. Es sei sehr gefährlich gewesen. Als dann Steine geflogen seien und Pyrotechnik gezündet wurde habe K. seinen Kopf eingezogen und nur noch seine Füße und seinen Vordermann gesehen. Die Gruppierung sei dann in Richtung Connewitzer Kreuz gelaufen. Er selbst hätte sich aufgrund der Gruppendynamik nicht entfernen können. Der Angeklagte konstatiert, wenn man einmal mit dabei sei höre man nicht auf und hoffe das beste.

Nach der Tat habe er etwas gutes Tun wollen, habe deswegen seine Malerausbildung abgebrochen und eine Ausbildung zur Pflegefachkraft in der Altenpflege begonnen.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft bekommt das Wort erteilt und will mehr über die Fußballkreise Wissen, in denen sich der Angeklagte bewegt habe. Auf die Frage, ob ihm „Gauner Lok“ etwas sage antwortet der Angeklagte nur ausweichend. Der Staatsanwalt konfrontiert K. damit, dass er neben Gauner Lok auch die Seite des Imperium Fight Team geliked habe. Darauf entgegnet der Angeklagte nichts. Aus weiteren Fragen ergibt sich, dass der Angeklagte auf dem Parkplatz an der A 14 keine besonderen Gegenstände in den Händen der Anwesenden gesehen habe. Mit dem Mitangeklagten sei er außerdem zur Schule gegangen.

Als der Angeklagte H. das Wort erhält äußert sich zuerst dessen Verteidigerin. H. sei genau wie dessen Mitangeklagter der typische Mitläufer gewesen und habe in seinem jugendlichen Leichtsinn einfach dabei sein wollen.

Danach lässt er sich auch auf ein persönliches Geständnis ein. Mit dem Mitangeklagten sei er öfter gemeinsam im Stadion zu Fußballspielen gewesen. Am 11.01.2016 habe er eine Rundnachricht anlässlich des einjährigen Bestehens von „Legida“ erhalten. Man solle sich am Abend am Parkplatz am Naunhofer See treffen. Am Parkplatz angekommen sei er in seiner Gruppe geblieben. Als dann alle gemeinsam nach Connewitz aufbrachen seien sie im Auto hinterhergefahren und irgendwo in einer Seitenstraße in Connewitz angekommen. Dann seien sie zum Rest der Gruppe gestoßen. Dort habe „Totenstille“ geherrscht. Dann sei alles eskaliert, es seien Steine geflogen, Bengalos gezündet worden. Er habe eine Bierbank in einer Fensterscheibe landen sehen. Es sei eine unmenschliche und angsteinflößende Situation gewesen, er habe nicht weg gekonnt. Auch habe er keinesfalls alleine bleiben wollen und sich deswegen an seinem Vordermann festgekrallt.

Auf richterliche Nachfrage führt der Angeklagte aus, sein Freundeskreis mit dem er damals zusammen zu Fußballspielen gegangen sei habe aus ungefähr zehn bis fünfzehn Personen bestanden. Angesichts der Tat fühle er sich nun für politische Zwecke instrumentalisiert. Er könne sich ein Verhalten wie damals mittlerweile nicht mehr vorstellen. Das wolle er jedoch nicht nur auf sein Alter beziehen. Seine Prioritäten seien damals schlicht andere gewesen, als heute. Auch er habe auf Facebook diverse, offenkundig der rechten Szene angehörige Seiten geliked, weil auf den Fotos noch alles cool ausgesehen habe.

Nach diesen Geständnissen werden die Fotoaufnahmen der Angeklagten vom Abend des 11.01.2016 gezeigt. Die Polizeibeamten hätten sie damals aufgefordert zu lächeln. Alle anderen Beweismittel werden im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Verlesung des Bundeszentralregisters ergibt, dass der Angeklagte Paul H. im Jahr 2013 wegen einer Sachbeschädigung und 2015 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Haftpflichtversicherung strafrechtlich aufgefallen sei.

Die Jugendgerichtshelferin stellt für beide Angeklagte eine günstige Sozialprognose.

In seinem Plädoyer weist der Staatsanwalt auf die Divergenz zwischen den Zeugenaussagen und den Einlassungen der Angeklagten hin. Besonders die Dynamik des Mobs sei anders, als von den Angeklagten geschildert, organisiert und planmäßig gewesen. Es stehe für eine Täterschaft der Angeklagten fest und daher fordere er, dem Jugendstrafrecht entsprechend, eine Freiheitsstrafe von einem Jahr zur Aussetzung auf Bewährung mit einer Bewährungszeit von zwei Jahren.

Der Verteidiger des Angeklagten K. führt aus, sein Mandant sei in einem ausreichenden Maße geständig gewesen. Außerdem sei er von den Hintermännern für diese Tat missbraucht worden. Deswegen fordere er eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr zur Aussetzung auf Bewährung.

Die Verteidigerin des Angeklagten H. wiederholt, ihr Mandant sei der klassische Mitläufer gewesen, der zum Zeitpunkt der Tat charakterlich schwach und naiv gewesen sei und in seinem jugendlichen Leichtsinn dabei sein wollte. Sie meint, eine Freiheitsstrafe von einem Jahr zur Aussetzung auf Bewährung sei angemessen.

Daraufhin entschuldigen sich beide Angeklagte bei den Opfern. Die Verhandlung wird kurz unterbrochen.

Beide Angeklagte werden zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Aussetzung zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Bewährungszeit beträgt in beiden Fällen zwei Jahre. Der Angeklagte K muss außerdem 1.300 Euro an einen gemeinnützigen Verein spenden, Angeklagter H. hingegen 1.500 Euro. Zur Urteilsbegründung erläutert die Richterin, dass der Organisationsgrad den Angeklagten bewusst gewesen sein muss. Das Ganze sei vorbereitet und unmöglich zu übersehen gewesen. Ziel der Aktion sei es gewesen, Unsicherheit zu verbreiten.

Damit schließt die Richterin die Hauptverhandlung.

 

Autor: juergenkasek

Lebe lieber ungewöhnlich. Rechtsanwalt, Politiker, Aktivist, Umweltschützer, Blogger, Sportler

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