„Mietenwahnsinn.“

 

Spätestens seit diesem Wochenende reden viele Menschen über „Mietenwahnsinn“. Einige erregen sich bereits über das Wort, andere sehen angesichts der Forderungen nach Enteignungen gar den Sozialismus am Horizont aufziehen.

Schöner Populismus allerorten. Ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte.

Die Fakten: Die Mieten steigen schneller als die Durchschnittslöhne. Wenn mehr als 30 % des Nettoeinkommens für die Miete aufgewendet werden, spricht man von einer sozialen Schieflage und das Armutsrisiko steigt. In Berlin beträgt die Relation 44 % in Leipzig 37 %. Tendenz steigend. Dazu kommt, dass der Wohnungsmarkt in den Städten angespannt ist, da Dank Zuzug und Geburtenüberschuss der Leerstand sinkt. Ohne einen Minimum an Leerstand in den Städten, allerdings auch keine Dynamik am Markt, da zielgruppenorientierte Angebote fehlen, finden keine Umzüge mehr statt. Am Ende droht ein „lock-in“ Effekt: Menschen können nicht mehr umziehen, weil Ersatzwohnungen nicht zur Verfügung stehen. In Teilen von München gibt es dieses Problem bereits.

„Mietenwahnsinn“ ist ein Schlagwort, welches dazu dient Aufmerksamkeit herzustellen und auf ein Problem hinzuweisen. Demonstrationen, deren Ziel es ist auf ein Problem hinzuweisen, versuchen durch Zuspitzung Aufmerksamkeit zu erzeugen. Normal. Machen alle so. BTW auch Politiker*innen.

Wir haben am Mietmarkt ein Problem, ob und wie man es benennt ist sekundär. Ökonomische Entwicklungen fallen btw auch nicht vom Himmel sondern sind menschengemacht und können, siehe Klimawandel, wahnwitzige Folgen haben. Ende der Debatte.

Ob und wie man die genannten Probleme lösen will, darüber herrscht Streit. Gut so. Argumente beleben die Debatte. Parteien konkurrieren mit ihren Angeboten um Wähler*innen. Das ist Demokratie.

Liberale Ansätze:
Statt regulierend in den Markt einzugreifen wird argumentiert, dass es sinnvoller sei darauf zu bauen, dass das Durchschnittseinkommen steigt, dies wiederum wird durch eine Ansiedlungspolitik begünstigt. Der Wohnungsmarkt soll durch eine investorenfreundliche Politik, schnellere Bauleitplanung, Abschwächung der Vorschriften, beschleunigt werden. Logik: Angebot und Nachfrage.

Regulierende Ansätze:
Um zu verhindern, dass Mieten zu stark steigen, kann man auf Gesetzänderungen auf Bundesebene im Bereich Zivilrecht setzen. Bereits seit 1. Januar etwa, können nur noch 7 % der Modernisierungskosten umgelegt werden (vorher 11 %).
Bereits vorhandene kommunale Möglichkeiten zur Lenkung sind Erhaltungssatzungen (§ 172 BauGB), im Volksmund Milieuschutzsatzungen genannt, oder in beschränkten Bereichen das kommunale Vorkaufsrecht. Auch im Bereich der Bauleitplanungen können die Kommunen Regelungen schaffen.
Auf Landesebene wird in Sachsen etwa über ein Wohnraumzweckentfremdungsgesetz diskutiert um zu verhindern, dass benötigter Wohnraum durch Umnutzung (Ferienwohnung, Air BnB und Co) verschwindet. Berlin hat solch ein Gesetz. Erfolg bislang mäßig.

Über all das kann man diskutieren.
Fakt ist, wir brauchen mehr Wohnraum in den Städten zu bezahlbaren Preisen. Was bezahlbar ist, bemisst sich an der Höhe des Einkommens. Bei vergleichsweise einem hohen Niedriglohnsektor in Leipzig und an einem bundesweit sehr niedrigen Durchschnittseinkommen gibt es Handlungsbedarf.

Enteignung.
Einige gehen noch weiter und schlagen vor, dass Boden und Wohnraum kein Spekulationsobjekt sein dürfe. Einige wenige Eigentümer spekulieren mit Wohnraum und Boden. Kaufen Häuser an, investieren nichts, und verkaufen zu einem höheren Preis wieder. DIe Kosten werden zum Teil auf die Mieter umgelegt. Die Miete steigt, ohne das irgendetwas geschehen ist.

Grundsätzlich gilt in Deutschland die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG. Allerdings unterliegt das Eigentum den Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die durch die Gesetze ausgestaltet werden. Eigentum soll dabei, nach Art. 14 II GG, grundsätzlich auch der Allgemeinheit dienen.

Art. 15 Grundgesetz hält wiederum fest, dass insbesondere Grund und Boden zum Zwecke der Vergesellschaft in Gemeineigentum überführt werden. Dazu muss ein Gesetz Art und Umfang der Entschädigung bestimmen.
Die Enteignung ist grundgesetzlich zum Zwecke des Allgemeinwohls also bereits enthalten. Wer an dieser Stelle vor „Sozialismus“ warnt, zeigt nur, dass er/sie keine Ahnung vom Grundgesetz hat. Für eine/n Politiker*in ist das vor allen Dingen peinlich.

Im bereits geltenden Bergrecht ist bereits die Enteignung bei der Gewinnung von Bodenschätzen geregelt.

Aus Gründen des Allgemeinwohls werden bereits in Deutschland Menschen enteignet um etwa Rohstoffe abzubauen, die der Allgemeinheit dienen (Stromversorgung) oder um Infrastruktur herzustellen, die ebenfalls der Allgemeinheit dient (Stromtrassen, Bundesstraßen, etc.).

Enteignungen sind also kein „Sozialismus“ sondern auch im „real existierenden“ Kapitalismus normal.

Das sind alles eine Reihe von Punkten über die man streiten kann. Und ich als Mieter wäre heilfroh, wenn mit Argumenten gerungen werden würde.

BTW: zum Thema haben sich in Leipzig nur Politiker*innen von SPD; GRÜNEN; DIE LINKE und FDP geäußert. Durchaus mit unterschiedlichen Ansätzen.

Schwarz-Blau scheint es egal zu sein.

Autor: juergenkasek

Lebe lieber ungewöhnlich. Rechtsanwalt, Politiker, Aktivist, Umweltschützer, Blogger, Sportler

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