Eine Verteidigungsschrift zur Lage der Meinungsfreiheit angesichts der Diskussion rund um die Leipziger Buchmesse.
Anlässlich der Diskussion von Uwe Tellkamp und Durs Grünbein in Dresden, bei der Tellkamp im wesentlichen unreflektiert Positionen von PEGIDA reproduzierte und Sprachmuster der neuen Rechten benutzte und der Aktion der #VerlagegegenRechts gibt es eine angespannte Debatte über die Meinungsfreiheit.
Nach der Diskussion zwischen Tellkamp und Grünbein wurde ersterer zum Teil deutlich kritisiert für die Übernahme rechter Positionen. Der sächsische Ministerpräsident bezog hingegen Stellung und lobte Tellkamp als kritischen Geist und beklagte Stigmatisierung.
Tellkamp war einer der ersten Unterzeichner der Charta 2017, die von Susanne Dagen vom Buchhaus Loschwitz initiiert wurde anlässlich der Geschehnisse auf der Frankfurter Buchmesse, wo der Protest gegen rechte Verlage zum Abbruch von Lesungen führte, nachdem Rechte Protestierende tätlich angriffen.
In dieser Charta, die von Gesinnungskorridoren spricht und in einer historischen Anmaßung einen Bezug zur Charta 77 (Bürgerrechtsbewegung in der ehemaligen Tschechoslowakei gegen das kommunistische Regime) darstellt, wird dann auch konsequent vor einer Meinungsdiktatur gewarnt.
Dagen selber sympathisiert offen mit der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung und teilt die Inhalte der extrem rechten PEGIDA. Berührungsängste mit gewaltbereiten Neonazis gibt es offenbar nicht.
Die Aktion der Verlage gegen Rechts forderte demgegenüber anlässlich der Leipziger Buchmesse dazu auf klar Stellung zu beziehen und rechter Hetze zu widersprechen. Absehbar wurde von rechter Seite sofort von Unterdrückung und Verboten bis hin zu Bücherverbrennungen schwadroniert. Die wohleingeübte Opferhaltung, die auf mitleidige Emotionen schielt: „Sehr her, die Toleranten, grenzen uns aus, dabei wollen wir nur diskutieren.“
Vorhersehbar, billig und falsch.
Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht und als solches ein Abwehrrecht gegen ein Handeln des Staates. Weder im Rahmen der Buchmesse, noch im Rahmen der Meinungsbildung ist aber der Staat tätig geworden.
Meinungsfreiheit ist dabei nicht nur das Recht seine Meinung frei bilden zu können, sondern auch diese zu verbreiten oder anderen Meinungen zu widersprechen. Gerade das Für- und Wider der Argumente prägt die Demokratie. Wer also fordert, dass Meinungen widerspruchslos hinzunehmen seien, macht vor allen Dingen deutlich, dass er/Sie Demokratie nicht verstanden hat und beruft sich auf ein Grundrecht, dass man in seiner Gänze nicht gelten lassen möchte sondern nur solange es eigenen Positionen dient.
Wer also anlässlich der Debatte von Stigmatisierungen spricht, weil ein Mensch für seine Positionen kritisiert wird, zieht neue Grenze und grenzt Meinungen aus.
Und von der Frage der Meinungsfreiheit zu trennen ist mithin die Fragestellung ob es sich um demokratische Meinungen handelt und damit um Meinungen im Rahmen der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes. Auch undemokratische Meinungen sind freilich von der Meinungsfreiheit geschützt, übrigens kennzeichnend für einen freiheitlichen Rechtsstaat, aber sie sollten nicht aufgewertet werden, indem man sich damit auch noch auseinandersetzt. Wer über die Gleichheit aller Menschen diskutieren will, stellt damit auch die Grundrechte zur Disposition.
Und was angesichts der Debatte um die Buchmesse noch auffällt ist das die Rechte Seite zuverlässig von Verboten schwadroniert, obwohl niemand ein Verbot von Verlagen in Gänze gefordert hat.
Aber es gehört zur Ideologie der neuen Rechten sich selbst als Opfer zu generieren. Denn in der Behauptung, dass bereits der Widerspruch gegen rechte Position eine Forderung des Verbotes sei oder eine Meinungsdiktatur darstelle, liegt eine ureigene rechte Logik. Die Rechten erklären sich permanent zum Opfer eine vorgeblichen Gesinnungsdiktatur und bringen zum Ausdruck, dass die Meinungsfreiheit nicht nur gefährdet sei sondern wir mithin bereits im Totalitarismus angekommen sind.
Damit einhergehend erklärt die Neue Rechte sich selber zum Bewahrer der Meinungsfreiheit und wähnt sich im „Widerstand“ gegen den aufziehenden Totalitarismus.
In Dauerschleife verbreitet man die Mär der Unterdrückung um bei denen die sich unterdrückt fühlen oder ausgegrenzt die Emotionen in Wallung zu bringen.
In dieser Debatte geht es nicht um Fakten sondern um die Erregung des „Volkes“ um die Spaltung der Gesellschaft (siehe Kubitschek) voranzutreiben. Denn darin schlummert der Kern der „konservativen (völkischen) Revolution“, dass sich der Mensch im Moment der grundlegenden Auseinandersetzung darin erinnere „wessen Blutes er sei“.
In der Auseinandersetzung heißt dies zunächst ruhig zu bleiben und sich nicht vom ewigen Opfergestus der rechten Beunruhigen zu lassen.
In einer Demokratie kann man über alles reden, im Rahmen der Demokratie. Denjenigen zu widersprechen, die die Grundrechte abschaffen wollen und sexistisch, rassistisch und mithin Einstellungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit reproduzieren ist notwendige Aufgabe eines jeden demokratisch gesinnten Menschen. Die Demokratie lebt nicht nur durch den Meinungsstreit sondern durch sich demokratisch engagierende Menschen, die sich einmischen, die mitbestimmen, die diskutieren.
Wer das ändern will und Widerspruch als Meinungsdiktat geißelt oder vor Stigmatisierungen warnt redet der Abschaffung der Meinungsfreiheit das Wort. Und das müssen wir nun wirklich nicht dulden.
Deswegen klar bleiben, Rechten widersprechen!
Könnte es sein, daß es nicht auf das „ob“, sondern auf das „wie“ ankommt?
Zur Meinungsfreiheit gehört nun mal, daß auch veröffentlicht werden darf – nicht umsonst wurden im Dritten Reich kritische Autoren mit Veröffentlichungsverbot belegt.
Wenn jemand Grundwerte der Gesellschaft in Frage stellt, ist das auch nicht prinzipiell schlecht. Martin Luther King hat das auch getan, Galilei und der Mahatma ebenfalls. Ein Grundwert, der nur axiomatisches Dogma ist und nicht hinterfragt werden darf, ist kein Wert, denn ein echter Wert bedarf keines Denktabus.
In meinem Wohnland ist zum zweiten Mal der Kandidat des „Front National“ in die zweite Runde zur Präsidentenwahl gekommen. Auch und gerade weil ich hier keine Staatsbürgerrechte besitze, würde ich durchaus gern mit einem Vertreter dieser Bewegung diskutieren. Und zwar genau um seine Ansichten zu hinterfragen und um menschliche Grundwerte, die diese Partei nicht teilt, zu vermitteln. Denn ja, gerade die Verteidigung gegen ihre Gegner zeigt die Stärke der demokratischen Werte, und hier können sie wesentlich besser vermittelt werden als mit Parolen und Demonstrationen.
Denn die Dumpf-und-Dunkel-Parteigänger sind auf genau diesem Terrain, Parolen und Aufmärsche, einfach besser. Da haben sie Übung seit Generationen. Aber Demokraten und Menschenfreunde haben ihren Vorsprung beim Denken, Hinterfragen, Begründen – und beim praktischen Umsetzen.
Nelson Mandela hat es auch erst „gebracht“, als er auf Gewalt und stumpfe Konfrontation verzichtete.
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