In den Wahlkreisen Görlitz und Bautzen gewann die AfD die Direktmandante und erreichte Zweitstimmenanteile von über 30 %. Die Lausitz hat damit mehrheitlich die AfD gewählt.
Hier schreibt Jan Hufenbach, Lausitzer, Musiker und Unternehmensberater/ Projektkoordinator, der in der Lausitz Projekte ua. zur Entwicklung des ländlichen Raumes betreut, was das bedeutet und wie es sich anfühlt.
Liebe Freunde,
die meisten von Euch leben nicht in Sachsen und auch nicht in der Oberlausitz, die nun als Deutschlands AfD Hochburg Schlagzeilen macht. Ein paar von Euch Auswärtigen haben mir geschrieben und mehr oder weniger angefragt, wie es denn hier in der Oberlausitz uns – also meine Familie und mir – nach der Wahl geht.
Mein Gefühl ist nicht gut. Es ist mulmig. Fast ein Drittel der Wähler im Landkreis hat die AfD gewählt. Auf den Dörfern (ich kenne die Zahlen noch nicht) fallen die Ergebnisse zum Teil weit höher aus. In meiner Gemeinde sind es 39%; in meinem Dorf? Keine Ahnung, aber ich ahne es.
Um für mich allein zu sprechen: Ich gehöre zu den Menschen, die die AfD unter ihrem Feindbild summiert. Grün, Ausländer-freundlich, Pro-Neue Energien, Kontra Kohle, multikulti, bunt etc. – Ihr wisst das.
Die Menschen, die hier „blau“ gewählt haben sind keineswegs Nazis. Ich denke die Mehrheit empfindet sich als Protestwähler, die den etablierten Parteien insbesondere der CDU einen Denkzettel/Dämpfer verpassen wollten. Das soll sie aber keineswegs entschuldigen. Als abstrafende Maßnahme erscheint Ihnen ihr Wahlverhalten als das angemessene Mittel und sie sind sich nicht zu Schade sich mit diesen Leuten gemein zu machen. Das ist allerdings beängstigend.
Die Menschen, die hier „blau“ gewählt haben sind erstaunlicherweise vielfach Senioren und wenigstens jenseits der 50. Der Landkreis Görlitz ist der älteste in ganz Deutschland. Diese Senioren haben einiges in ihrem Leben erlebt. Die meisten von Ihnen haben als Kinder und Jugendliche noch die Nachwehen des Dritten Reiches mitbekommen, dann die Diktatur der SED und schließlich die Wende und den Schubs ins sehr kalte Wasser des vereinigten Deutschlands mit seiner Wirtschaftswachstums-Ellenbogen-Konsum Demokratie. Warum haben nun ausgerechnet diese alten erfahrenen? weisen? Menschen vielfach blau gewählt? Ich denke es ist ganz einfach. SPD und CDU haben nahezu nur mit Köpfen geworben, die Linke gilt bei vielen noch als PDS Nachfolgepartei, die Grünen sind Spinner, die NPD zu rechts, die Vielzahl von Kleinstparteien ist nicht bekannt, aber die AfD war extrem präsent und hat mit ihren populistischen Sprüchen den Nerv getroffen und war damit als Wechselwahl-Protest-Dämpfer-Kandidat an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit. Auch das soll keine Entschuldigung sein.
Und nun? Meiner Meinung nach haben die blauen Wähler das vermeintliche Übel (…die böse CDU, die „Volksverräterin“ Angela Merkel) mit dem realen Übel ausgetauscht. Ich denke aber auch: sie wissen nicht, was sie tun. Kaum einer von Ihnen wird das Wahlprogramm gelesen haben. Die meisten verbringen – und das gilt der Statistik folgend für alle Deutschen – mindestens 200 Minuten täglich vor dem Fernseher, sie gehören keiner Partei an, sie sind nicht ehrenamtlich engagiert, sie machen ihre Meinung nicht öffentlich usw. und wie viele andere Menschen auch, beschäftigen Sie sich ganz sicher nicht mit der Außenwirkung ihres Handelns.
Die möglichen Folgen ihres Handelns für die Region werden sie nicht bedacht haben. Ich glaube die Auswirkung dieser Wahl hat für den Landkreis dramatische Folgen. Welcher vormals potentielle Zuzügler oder Rückkehrer wird denn das Wagnis eingehen in die Oberlausitz zu ziehen? Welcher in- oder ausländische Unternehmer wird sich hier ansiedeln mögen? Welchen in- oder ausländischen Tourist zieht es jetzt noch in diese Gegend? Die deutsch-chinesische Unternehmensgruppe, die in Rothenburg O.L. ein 1000 Stellen Werk für E-Autos errichten will? wollte? wird sich nun ganz sicher fragen, ob das die richtige Entscheidung ist, und wenn sie jetzt dem Tillich Wunsch folgen und in das Dresdener Umland gehen, dann ist das verständlich.
Ich denke auch, dass die nächsten Jahre nicht einfach werden. Das glaube ich auch deshalb, weil die etablierten Parteien – die CDU allen voran – sich gegenseitig die Verantwortung in die Schuhe schieben bzw. schon heute die große Chance verpassen, sich gemeinsam aufzustellen, um mit einem gemeinsamen Zeichen und einer nachhaltigen langfristigen Strategie dieser fatalen Entwicklung entgegenzutreten. Die Instabilität, die ich feststelle, ähnelt doch sehr den Zuständen in der Weimarer Republik, die einem Häuflein von Nazis Tor & Tür öffnete, weil man unfähig war zu koalieren. Die Blauen sind den gestrigen Horrorgestalten nicht unähnlich. Unerträglicher Populismus, Lügen, Bigotterie und dazu eine von krasser Gewalt aufgeladene Sprache, die schon erahnen lässt, wohin die Reise gehen könnte. Ich glaube, dass (wie ehedem) die Gewaltbereitschaft von links- und rechts außen zunehmen wird.
Zurück zu den Menschen in der Oberlausitz: Politik, Medien und viele Studien haben ihnen erzählt sie seien arm, abgehängt, überflüssig, blöd etc. – Das Ost-West-Gefälle allein in Bezug auf die Entlohnung hat ein Übriges getan. Hinzu kommt die demografische Entwicklung, die gleichsam von Politik und Medien als Gefahr dargestellt wurde und wird. Die subjektive Welterfahrung und -anerkennung vieler hier ist so negativ besetzt, dass man es kaum glauben mag. Das Mindset der Leute ist komplett im Arsch. Wenn ich sie frage, was sie sich persönlich und für ihr Leben von der AfD versprechen, bleiben sie stumm.
Gesehen wird nicht, dass es den Deutschen und auch den Oberlausitzern in diesem Land in vielen Bereichen so gut geht wie nie zuvor. Die in- und ausländischen Studien nur zum Thema „Lebensstandard Index“ zeigen Jahr um Jahr, dass Deutschland eines der wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt ist. Wenn man sich Bilder der Region aus Vorwendezeiten und auch aus den anfänglichen 90ern anschaut und mit dem vergleicht, was sich heute zeigt, muss man sich wirklich fragen, woran es den Menschen tatsächlich mangelt. Das gilt auch für mein Dorf. Natürlich ist die Arbeitslosenquote hier höher als im Bundesdurchschnitt und natürlich werden hier vielfach geringere Löhne gezahlt und natürlich migrieren die Jungen in die Metropolen (das war auch früher so) und so weiter, aber…
…aber heute ist sichtbar Wohlstand & Konsum bei vielen eingekehrt. Ich kenne keinen der arm ist und am Hungertuch nagt. Ich kenne auch niemanden dem durch einen „Ausländer“ die Arbeit oder die Frau oder beides weggenommen wurde (Sachsen hat eine lächerliche Ausländerquote von unter 5% und im ländlichen Raum ist kaum einer zu finden). Zumal sind hier die Lebenshaltungskosten ganz sicher geringer als im Bundesdurchschnitt, ganz vorn die Immobilienpreise und die Mieten. Plus (haha) der Billigeinkauf von Sprit, Zigaretten, Obst & Gemüse beim unbeliebten polnischen Nachbarn.
Was fehlt ihnen nun den blauen Oberlausitzern hier im östlichsten Osten Deutschlands? Auch eine mangelnde Kultur kann es nicht sein. Die AfD hebt in ihrem Wahlprogramm nun deutlich auf die „Deutsche Kultur“ ab, aber was soll das sein und wie soll das der Oberlausitzer für sich verstehen und umsetzen? Pückler, Böhme, Fichte lesen? Ein Messiaen Konzert besuchen (…oops, der war ja Franzose)? Die architektonischen Highlights besuchen und das Haus Schminke in Löbau überrennen oder etwa den Njepila Hof in Rohne besuchen (…geht auch nicht, ist sorbisch)? Oh weh. Auch der Wessie Goethe, der viel Zeit im Osten gelebt und gewirkt hat, findet wohl kaum Gehör, wobei: „Der Feige droht nur, wo er sicher ist.“
Natürlich gibt es hier Probleme. Die niedrigpreisige Droge Crystal ist eines davon, die das subjektive Sicherheitsgefühl schmälernde Grenzkriminalität ein weiteres, die unübersehbare Überalterung ein nächstes – aber vor allem ist es ein vielfach ramponiertes Selbstwertgefühl und hier eine Haltung, die sich am imaginierten Reichtum der „Wessies“ vergleicht und die in die Falle der aufgebauschten .Drohkulissen (Demografie, Ausländer etc.) getappt ist (inkl. selektive Wahrnehmung, Bestätigungsfehler, Realitätsverlust etc.)…und so kommt am Ende der Aufzählung „Verletzung“ und „Angst“ heraus.
Wichtig in diesem komplexen Gemenge ist auch die Erfahrung die zehntausende in den einstmals florierenden Zentren der Glasindustrie, der Textilindustrie, der Kohle etc. gemacht haben. Sie wurden entlassen, Unternehmen und Maschinen wurden verramscht und heute sind selbst die alten Fabriken vielfach devastiert. Diese vielen Menschen waren plötzlich wertlos – der vor allem emotionale Knacks ist bis heute spürbar.
Zurück nun zur ursprünglichen Frage der ersten vier Zeilen. Ich und wir werfen natürlich nicht das Handtuch. Wir haben viel Kraft & Elan & Hoffnung hier leben und arbeiten zu können und auch glauben wir daran, dass wir mit unserer Arbeit durchaus einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten aber im Hinterkopf wächst der Plan B, denn so frei die Gedanken sind, so frei ist auch die Wahl des Lebensmittelpunktes.